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Der Sänger hielt an, ein lautes Stöhnen ging durch die Ver¬
sammlung, nur einzelne Heilrufe erklangen dazwischen; der Fürst hörte
gespannt auf die Ausbrüche des Schmerzes und der Freude. Dann fuhr
Volkmar fort, indem er die Trauerklänge mit kräftiger Weise vertauschte:
„Der Cäsar trat an den Uferrand und sah lachend hinab in der Männer
Not. Er rief feinem Bannerträger, der den Drachen trug, das rote
Scheusal, aus Purpur gewirkt, darin ein Gott der Römer gefügt den
Siegeszauber, den Tod der Feinde: „Laß schweben den Drachen über der
Flut, daß er seine Zähne zeige und die flammende Zunge dem sterbenden
Volke. In der Luft hoch fliegt er gegen die Himmelshalle der Toten;
wenn sie aufsteigen auf der Wolkenbrücke, so weist er die Zähne; der
Römerdrache hemmt ihnen die Reise, daß sie abwärts fahren den Weg
der Fische, hinab in das Dunkel zu Helas Tor." Da rächte den Hohn
der letzte Held, der mit den Waffen die Römer bestand, Ingo, Ingberts
Sohn von Vandalenland, der Königssohn aus Göttergeschlecht. Er hatte
gekämpft an König Athanarichs Achsel, voran im Kampfe, ein Schrecken
der Römer. Da das Schlachtenglück sich wendete, schritt er zurück mit
seinem Gesinde, das ihm folgte aus dem Kriegspsad von Land zu Land,
langsam und zornig wie ein grimmender Bär wich er zum Ufer, wo am
Fuße des Felsens die Kähne lagen. Dort trieb er zusammen die Frauen
des Heeres, die Schicksalsverkünderinnen, die Blutsprecherinnen, und
zwang sie zur Abfahrt, daß die heiligen Mütter dem Schwerte der Römer
entrannen. Auch den Sänger drängte er hinab in den Kahn, und er
selbst umschanzte hochherzigen Sinnes die Stelle der Abfahrt mit Waffe
und Leib. Gelöst war das Leitseil, die Kähne schwebten, umschwirrt von
den Speeren der Römer, aus grüner Flut; die Feinde drängten, und
mühsam kämpfte die Schar am Fuß des Felsens den letzten Kampf. Da
schaute der Held auf dem Steine über seinem Haupt den Drachen des
Cäsar, den grimmigen Wurm, und im Sprunge durchbrach er die Wachen
des Römers; er sprang auf den Stein, mit Bärengriff faßte er den Riesen,
der das Banner trug, und warf ihn vom Felsen. Leblos tauchte in die
Fluten der Römer, und das Banner erhebend, rief der Held gewaltig
den Schlachtruf und sprang mit dem Drachen hinab in den Strom. Ein
Wutgeschrei gellte aus Römermunde; die bittere Schmach vor den Augen
des Cäsar zu rächen, den Kühnen zu schlagen, das heilige Zeichen der
Römer zu retten, warf Mann und Roß sich wie toll in den Strom.
Doch abwärts trieb im wirbelnden Strome der rote Drache, der sieg¬
reiche Held. Noch einmal sah ich den Arm ihn heben und schütteln das
Banner, dann sah ich ihn nimmer. Der Cäsar ließ suchen an des
Slromes Rand auf beiden Ufern mit trübem Sinn; zwci Tage daraus
fand weit abwärts ein Späher am Alemannenufer gebrochen den Banner¬
speer; den Drachen des Feindes brachte keiner zurück. Da kehrte den
Männern an den Usern des Rheins der Mut in die Seelen, der Sieges¬