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alle seine Furcht dahin, und das Herz hüpfte ihm vor Freuden. „Nimm,"
sprach der Geist, „was du bedarfst, es sei wenig oder viel; nur stelle mir
einen Schuldbrief aus, wofern du der Schreiberei kundig bist." Der arme
Veit bejahte das und zählte sich gewissenhaft die hundert Taler zu, nicht
einen mehr und keinen weniger. Der Geist schien auf das Zählungs¬
geschäft gar nicht zu achten, drehte sich weg und suchte indes seine Schreib¬
materialien hervor. Veit schrieb den Schuldbries so bündig, wie ihm
möglich war; der Berggeist schloß solchen in einen eisernen Schatzkasten
und sagte zum Abschiede: „Zieh hin, mein Freund, und nütze dein Geld
mit arbeitsamer Hand! Vergiß nicht, daß du mein Schuldner bist, und
merke dir den Eingang in das Tal und diese Felsenkluft genau! Sobald
das dritte Jahr verflossen ist, zahlst du mir Kapital und Zins zurück!
Ich bin ein strenger Gläubiger; hältst du nicht ein, so fordere ich es mit
Ungestüm." Der ehrliche Veit gelobte, auf den Tag gute Zahlung zu
leisten, verspracht mit seiner biederen Hand, doch ohne Schwur, ver¬
pfändete nicht seine Seele und Seligkeit, wie lose Bezahler zu tun Pflegen,
und schied mit dankbarem Herzen von seinem Schuldherrn in der Felsen¬
höhle, aus der er leicht den Ausgang fand.
2.
Die hundert Taler wirkten bei ihm so mächtig auf Seele und Leib,
daß ihm nicht anders zu Mute war, da er das Tageslicht wieder erblickte,
als ob er Balsam des Lebens in der Felsenklnft eingesogen habe. Freudig
und gestärkt an allen Gliedern schritt er nun seiner Wohnung zu und
trat in die elende Hütte, als sich der Tag zu neigen begann. Sobald ihn
die abgezehrten Kinder erblickten, schrieen sie ihm einmütig entgegen:
„Brot, Vater, einen Bissen Brot! Hast uns lange darben lassen!" Die
abgehärmte Frau saß in einem Winkel und weinte, fürchtete nach der
Denkungsart der Kleinmütigen das Schlimmste und vermutete, daß ihr
Mann eine traurige Litanei anstimmen werde. Er aber bot ihr freund¬
lich die Hand und hieß sie Feuer anschüren auf dem Herde; denn er trug
im Zwerchsack Grütze und Hirse, davon die Hausmutter einen steifen Brei
kochen mußte, daß der Löffel darin stand. Nachher gab er ihr Bericht
von dem guten Erfolge seines Geschäftes. „Deine Vettern," sprach er,
„sind gar rechtliche Leute; sie haben mir nicht meine Armut vorgehalten,
haben mich nicht verkannt oder schimpflich von der Tür abgewiesen, sondern
mich freundlich beherbergt, mir Herz und Hand eröffnet und hundert bare
Taler vorschußweise auf den Tisch gezählt." Da fiel dem guten Weibe
ein schwerer Stein vom Herzen, der sie lange gedrückt hatte. „Wären
wir," sagte sie, „eher vor die rechte Schmiede gegangen, so Hütten wir
uns manchen Kummer ersparen können." Hierauf rühmte sie ihre Freund¬
schaft, von der sie sich vorher so wenig Gutes versehen hatte, und tat recht
stolz auf die Vettern.