suchen?" Endlich sandte er die ängstlich forschenden Blicke nach der
Tiefe. Da sah er im Wasser die Federn schwimmen. Nun senkte er
seinen Flug, legte die Flügel ab und ging ohne Trost am Ufer hin und
her, wo bald die Meereswellen den Leichnam seines unglücklichen Kindes
ans Gestade spülten. Jetzt war der ermordete Talus gerächt. Der
verzweifelte Vater sorgte für das Begräbnis des Sohnes. Es war eine
Insel, wo er sich niedergelassen, und wo der Leichnam ans Ufer ge¬
schwemmt worden war. Zum ewigen Gedächtnisse an das jammervolle
Ereignis erhielt das Eiland den Namen Jkaria.
187. Ödipus und sein Geschlecht. von Ludwig stacke.
Erzählungen aus der alten Geschichte. 1. Teil. 30. Ausl. Oldenburg 1903. S. 22.
Kadmus.
3ii Asien, im Lande der Phönizier, herrschte ein König namens Agenor.
Dessen Tochter Europa erging sich einst am Gestade des Meeres, als
ein wunderschöner weißer Stier ihre Aufinerksamkeit auf sich zog. Er
benahm sich so sanft und fromm, daß die Jungfrau dreist wurde und sich
auf seinen Rücken schwang. Da plötzlich setzte sich der Stier in Bewegung,
stürzte sich mit seiner schönen Bürde ins Meer und trug sie der Insel
Kreta zu. Hier nahm er seine eigentliche Gestalt an. Zeus selbst war
es, der die Jungfrau entführt hatte.
Der alte König Agenor, untröstlich über den Verlust seiner Tochter,
erteilte seinem Sohne Kadmus den Auftrag, sie in der ganzen Welt auf¬
zusuchen, ja er ging so weit, ihm selbst die Rückkehr in die Heimat zu
verbieten, wenn er die Schwester nicht fände und heimbrächte. Kadmus
machte sich auf die Wanderung, aber alle seine Bemühungen, die ver¬
lorene Europa zu finden, waren vergeblich. Da ihm nun des Vaters
harter Spruch die Heimkehr unmöglich machte, so fragte er das Orakel
um Rat, wo er sich eine neue Heimat suchen sollte. Der Gott befahl
ihm, er solle an dem Orte eine Stadt gründen, zu welchem ihm eine
Kuh den Weg zeigen werde. Kadmus machte sich auf, fand die ver¬
heißene Kuh und folgte ihr nach. Sie leitete ihn nach Griechenland, in
die Landschaft Böotien, und da, wo sie sich niederließ, legte er den
Grund zur Stadt Theben. Nun wollte Kadmus die Kuh der Athene
opfern und sandte seine Gefährten zu einer Quelle, um Wasser zu holen.
Die Quelle aber war von einem Drachen bewacht, der die meisten
seiner Gefährten tötete. Kadmus erlegte ihn und säte dann auf Athenes
Rat die Drachenzähne in den Boden. Daraus wuchsen gewappnete
Männer hervor, die bald miteinander in Streit gerieten und sich bis
auf fünf gegenseitig töteten. Die Überlebenden halfen ihm die neue
Stadt bauen.