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brennenden Kienspan, führte ihre Brüder und alle Anwesenden, die neu¬
gierig folgten, an das Lager des Römers, der trotz des Lärmens ruhig
weiter schlief, zeigte ihnen ihren Gefangenen und sprach triumphierend
zu den Brüdern:
„Da ihr mir den versprochenen Gefangenen nicht mitgebracht habt,
so habe ich mir selbst einen geholt."
Beim Anblick des verhaßten Römers wollten die Brüder mit ge¬
zückten Messern aus ihn stürzen, Brunhilde aber wehrte sie mit Gewalt
zurück und ries:
„Rührt ihn nicht an, er ist meine Kriegsbeute. Allerdings bin ich
verpflichtet, sie unserem Vater, dem Haupte der Familie, zu überliefern,
aber ich weiß, daß er sie mir wieder abtreten wird. Ihr aber habt
keine Gewalt über meinen Gefangenen."
Die Brüder traten, von der Richtigkeit der schwesterlichen Aus¬
einandersetzung überzeugt, zurück. Der Hausherr, der von dem tapferen
und entschiedenen Benehmen seines Lieblingskindes entzückt war, will¬
fahrte gern ihrer Bitte und sprach ihr vor allen Anwesenden als Zeugen
den von ihr gefangengenommenen Römer als ihr freies Eigentum zu.
Nach dieser aufregenden Szene kehrten alle an den Herd zurück und
setzten sich an den Tisch. Die auf demselben stehenden Schüsseln wurden
von Mutter und Tochter wiederholt gefüllt, und alle sprachen der
stärkenden Speise mit dem durch die harten Kampfestage außerordentlich
geförderten Appetit tüchtig zu. Nachdem die Schmausenden gesättigt
waren, wurden die Schüsseln entfernt, und nun trat das Methorn an
ihren Platz. Auch die erbeuteten goldenen und silbernen Trinkbecher-
würden auf den Tisch gestellt, wiederholt mit Met gefüllt und von den
Gästen jubelnd geleert. Es hatte bald die ausgelassenste Fröhlichkeit
unter den Tischgenossen Platz gegriffen, und indem alle von ihren Kriegs¬
abenteuern erzählen wollten und dabei heftig mit ihren Fäusten auf den
Tisch schlugen, entwickelte sich alsbald das Bild eines germanischen Zech¬
gelages in aller seiner Lebendigkeit. Endlich wußte der Hausherr sich
mit seiner kräftigen Stimme Gehör zu verschaffen. Er rief die beiden
Frauen, die abseits standen und bereit waren, immer wieder Horn und
Becher zu füllen, zu sich und sprach:
„Ihr und vorzüglich du, meine tapfere Tochter, seid gewiß begierig,
von dem Ausgange der Schlacht im Teutgebirge zu hören. Nun, ihr
habt schon vernommen, daß wir als Sieger heimgekehrt sind, daß drei
römische Legionen in unseren Bergen erschlagen liegen. Als der feind¬
liche Feldherr alles verloren sah, stürzte er sich in sein eigenes Schwert.
Seinem Beispiele folgten viele andere Führer. Nun gaben die feind¬
lichen Soldaten jede Hoffnung auf, warfen ihre Waffen fort und ließen
sich ohne jede Gegenwehr niederschlagen. So haben wir alle ermordet,
Männer und Rosse. Es war ein fürchterliches Niedermetzeln; mich