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düngen vergleichen läßt. Dann war er der Sohn, der verzweifelnd zu
den Füßen seines Baters liegt, oder der treue Diener, der zu seinen
Füßen fleht. Denn unerschütterlich war seine Überzeugung, daß man
durch Bitten und Mahnen auf Gottes Entschlüsse einwirken könne. Und
so wechselt in seinem Gebet Erguß der Empfindungen mit Klage, ja mit
ernsten Vorstellungen. Es ist oft berichtet, wie er den todkranken Me-
lanchthon im Jahre 1540 zu Weimar wieder zum Leben brachte. Als
Luther ankam, traf er Magister Philippus im Verscheiden, ohne Be¬
sinnung, mit gebrochenen Augen. Luther erschrak gewaltig und sprach:
„Behüte Gott, wie hat der Teufel dieses Organon geschändet!" Dann
kehrte er der Gesellschaft den Rücken und trat zum Fenster, wie er gern
that, wenn er betete. „Allhier," sagte dann Luther selbst, „mußte mir
unser Herrgott herhalten; denn ich warf ihm den Sack vor die Thür und
rieb ihm die Ohren mit allen Verheißungen des Gebets, die ich ans der
heiligen Schrift zu erzählen wußte, so daß er mich anhören mußte, wenn
ich anders seinen Verheißungen trauen sollte." Darauf faßte er Me-
lanchthon bei der Hand: „Seid getrost, Philipp, Ihr werdet nicht sterben."
Und Melanchthon fing zur Stelle an Atem zu schöpfen und erhielt die
Besinnung wieder. Er wurde hergestellt.
34. Frau Musica.
(Martin Luther )
Vor allen Freuden auf Erden
kann niemand sein feiner werden,
denn die ich geb' mit mei'm Singen
und mit manchem süßen Klingen.
Hie kann nicht sein ein böser Mut,
wo da singen Gesellen gut;
hie bleibt kein Zorn, Zank, Haß noch Neid,
weichen muß alles Herzeleid;
Geiz, Sorg' und was sonst hart anleit,
fährt hin mit aller Taurigkeit.
Auch ist ein jeder des wohl frei,
daß solche Freud' kein' Sünde sei,
sondern auch Gott viel baß gefüllt
denn alle Freud' der ganzen Welt;
dem Teufel sie sein Werk zerstört
und verhindert viel böser Mörd'.
Das zeugt Davids, des Königs, That,