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halb vernichtet, sich immer wieder sammelte und in alter Kraft auftrat und den
Glauben nicht verlor an seinen Gott und dessen Ruf. Da weckte denn die
Not, wenn sie am ärgsten war, die rechten Helfer. Da wuchsen Helden
auf in Stahl und Eisen: aber mehr noch Helden darin, daß sie heller als
ihre Zeit erkannten, was ihr not that. Mit scharfem Messer schnitten sie
in die Wunden und warfen das böse Fleisch aus, taub gegen das Geschrei
derer, die riefen, es sei doch ihr Fleisch. Ihr mächtiger Ruf drang zu den
Herzen; ihre Stimme sammelte die Besten um sich, und es waren der
Guten und Unverzagten dann immer noch mehr, als der Schlechten und
Kleingläubigen. So mit Verstand und Einsicht stattete der Herr diese
Retter ihres Volkes ans, daß ihr Blick weiter sah, als ihr Arm reichte,
und der Geist war mit ihnen. Sie fanden Mittel da, wo man glaubte,
alles sei erschöpft und ausgebeutet.
Solche Männer standen dem Lande und dem Volke zu allen Zeiten
auf, wo die Leute meinten, es sei alles aus. Solche Helfer, Ärzte und
Retter waren der große Kurfürst Friedrich Wilhelm; er fand eine dreißig¬
jährige Wüste, ein Volk, ermattet vor Hunger und aufgefressen von Schmerz,
Pestbeulen und Verzweiflung, und hinterließ einen jungen Staat voll reger
Lebenskeime, ein Volk, in dem Ordnung, Sitte, Glaube und Hoffnung wieder
blühten. Ein solcher Held war Friedrich, oft groß, aber einzig in der
unerschütterlichen Kraft, das Unglück zu bändigen. Kollin, Hochkirch und
Torgan sind die leuchtenden Sterne seines Ruhmes, weil er da alles ver¬
loren, nur nicht den Mut, der alles gewinnt. Solche Ärzte und Retter
traten ans, als Preußen, von der Fremdherrschaft erdrückt, im Todeskampf
um sein Dasein rang, und unter den vielen, die das wunde Fleisch ans¬
schnitten, um das gesunde zu retten, werden der Nachwelt die Namen Stein
und Hardenberg am lautesten tönen, denn sie wußten, was ihrer Zeit not
that, und zagten nicht vor dem Phantom des Riesen und nicht vor dem
Geschrei der kleinen Großen. Solch ein blitzender Moment der preußischen
Unverzagtheit knüpft sich noch an die Schlacht von Waterloo. Alles ver¬
loren und alles gewonnen durch den Mut, der aus der Niederlage wie ein
Phönix ausstand. Nicht aller Bilder sind in Erz und Stein geprägt, nicht
aller Name klingt im Liede wieder; darum ist es aber nicht minder Pflicht,
was an uns ist, dieser Führer und Herzöge in Ehre und Liebe zu gedenken,
denen wir es verdanken, daß wir ein deutsches Volk blieben und ein deut¬
sches Reich wurden.