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47. Brief an Andres. 
(Matthias Claudius.) 
Da schreib ich Ihm schon wieder, und diesmal halt Er mir noch stand, 
mein lieber Andres, dann soll Er auch sürerst Ruhe haben. Ich kann doch 
nicht so ins große Blaue schießen, muß doch jemand haben, nach dem ich 
ziele, und Er ist mir so recht bequem und paßlich, nicht zu dumm und 
nicht zu klug, und Sein Gemüt ist nicht böse. Will auch Brüderschaft mit 
Dir gemacht haben, Bruder Andres. 
Was Du mir von dem neuen Holzbein und von der Bärenmütze 
schreibst, die Du dem alten lahmen Dietrich heimlich ans sein Strohlager- 
hast hinlegen lassen, hat mir nicht unrecht gefallen; darüber aber mußt' ich 
recht lachen, daß Dir nun nach seinem Dank 's Maul doch so wässert, 
's wässert einem dann so, Andres, mußt aber alles hübsch hinterschlucken. 
Dietrich bleibt ja im Lande, kannst ja alle Tage, wenn er vorbei hinkt, 
Dein Holzbein noch sehen und Deine Bärenmütze. Aber dem Dank wolltest 
Du gar zu gern zu Leibe? Nun, reiß Dir deshalb kein Haar nicht aus, 
's geht andern ehrlichen Leuten auch so; man meint wunder, was einem 
damit geholfen sein werde, und ist nicht wahr; hab's auch wohl eher gemeint, 
aber seit Bartholomäi hab ich mich darauf gefetzt, daß ich von keinem Dank 
wissen will, und wenn mir nun einer damit weitläustg angestiegen kommt, 
so karbatsch ich darauf los, und das alles aus purem leidigen Interesse, 
wahrhaftig aus purem Interesse. Denn sieh, Andres, Du wirst's auch 
finden: Wenn die Sach' unter die Leut' ist und Dietrich gedankt hat, 
dann hat man seinen Lohn dahin, und 's ist alles rein vorbei; und 
was ist es denn groß zu geben, wenn man's hat? Wenn aber keine 
Seel' von weiß, sieh! dann hat man noch immer den Knopf aufm 
Beutel, dann ist's noch immer ein treuer Gefährt um Mitternacht und 
auf Reisen, und man kann's ordentlich als 'n Helm auf'n Kopf setzen, 
wenn ein Gewitter aufsteigt. Herzlicher Dank thut wohl sanft, alter 
Narre, doch ist das auch keine Kleinigkeit, heimlich hinlegen und dann dem 
armen Volk unsichtbar hinterm Rücken stehen und zusehen, wie es wirkt, wie 
sie sich freuen und handschlagen und nach dem unbekannten Wohlthäter- 
suchen. Und da muß man sie suchen lassen, Andres, und mit seinem Herzen 
in alle Welt gehen. 
Aber hör, man muß auch nicht jedem Narren geben, der einen an¬ 
bettelt. Die Leut' wollen alle gern haben, und ist doch nicht immer gut, 
Mangel ist überhaupt gesunder als Überfluß, und traun, glaube mir, 's ist 
viel leichter, zu geben, als recht zu geben. Aufn Kopf mußte Dietrich was
	        
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