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leuchten; die vorüberwandernden Berliner wußten recht gilt, was daS 
bedeute; „der Kaiser arbeitet noch!" flüsterten sie sich zu. 
In der That war Kaiser Wilhelm ein unermüdlicher, gegen sich 
selbst rücksichtsloser Arbeiter. Seine Leibärzte kämpften bis zu seinem 
letzten Lebensjahre vergebens gegen die pünktliche Gewissenhaftigkeit, mit 
welcher er allem nachkam, was er einmal als seine Pflicht auffaßte. 
Als er im Frühjahr 1887 nach längerem Unwohlsein wieder aufstehen 
durfte, bat ihn Generalarzt Dr. von Lauer dringend, sich unbedingt nach 
zwei Stunden wieder hinzulegen. Er sagt es auch lächelnd zu; am Abend 
findet der bestürzte Arzt seinen hohen Patienten jedoch statt im Bett am 
Arbeitstisch; neben ihm liegt ein gewaltiger Stoß erledigter Akten. 
„Aber, Eure Majestät, ich hatte doch gebeten," wagt der treue Diener 
und Berater im Ton leisen Vorwurfs zu bemerken. „Ja, ja, lieber 
Lauer, ich weiß wohl, ich sollte zur Ruhe! Aber sehen Sie, wenn Sie 
soviel gearbeitet hätten, wie ich, dann würden Sie nun ebenso gut und 
fest schlafen, wie ich es alsbald thun will." Auch die Genauigkeit, mit 
welcher der Kaiser arbeitete, war groß; in Abhandlungen und Berichten 
von vielen Bogen entging ihm nicht das Geringste; Gesetzentwürfe, die 
ihm unterbreitet wurden, kamen stets mit vielen Randbemerkungen in die 
Ministerien zurück, und die beiden Chefs des Militär- und Civilkabinetts, 
General von Albedyll und Geheimer Kabinettsrat von Wilmowski, mußten 
häusig ihre wohlgefüllten Mappen nach dem Vortrag im Arbeitszimmer 
zurücklassen, weil der Kaiser eine nochmalige persönliche Prüfung für die 
Entscheidung über die zur Erörterung gekommenen Angelegenheiten als 
notwendig erachtete. 
Des Herrschers Schreibtisch ist von zahlreichen Photographien der 
Familie und von allerlei teuren Erinnerungsstücken umstellt und teilweise 
bedeckt. Quer vor dem Sitz mußte täglich das betreffende Blatt des 
persönlichen Kalenders aufgestellt werden, den Hofrat Schneider angelegt 
hatte, und der, bis zuletzt fortgeführt, für jeden Tag alle Erinnerungen 
aus des Monarchen Leben enthielt, die mit dem Datum in Verbindung 
standen. Ebenso fand die im litterarischen Büreau des Auswärtigen 
Amtes täglich zusammengestellte „Zeitung" auf dem Arbeitstisch ihren 
Platz, große mit Ausschnitten aus Tagesblättern aller Parteirichtnngen 
beklebte Bogen, llbrigens begnügte der Kaiser sich keineswegs mit diesen 
osfiziellen Auszügen, sondern las außerdem fast täglich einige Berliner 
Blätter. Die übrigen Tische, das Sofa und meist fast alle Stühle waren 
mit Büchern, Mappen und Zeichnungen, sowie mit jenen unzähligen oft 
sehr schlichten Andenken bedeckt, die dem Herrscher als Zeichen treuer
	        
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