Full text: [Teil 4 = 7. bis 9. Schulj] (Teil 4 = 7. bis 9. Schulj)

BgBgBgBgBgBg Von Vaterland und Freiheit. ZLZLZLZLZS 505 
sehen? Sind die es? Sie wachsen und welken; das Gemüt findet 
überall ein Gemüt, und die nächsten Nachbarn kehren sich den Rücken. 
Das Vaterland erklärst du nicht, aber du fühlst es. Deine Güter 
stürzest du, ihm opfernd, in den bodenlosen Abgrund; sein Name ist 
ein Trompetenstoß der Lust; tief ausholend, langschmetternd, weckt 
er das Heiligste in dir, und du stürzest dich selbst dafür in den Tod. 
Es ist eine Zaubereiche mit Laub und Blüten, die aus Luft, 
Wasser, Erde, aus Tönen und Klängen, Reden und Gedanken Nah¬ 
rung zieht. Der Baum saugt ein Seufzer und Jubellaute der blühenden 
und welkenden Geschlechter. Wenn dann der Sturm in der Krone 
rauscht, tönen in der Äolsharfe seiner Zweige die Stimmen wieder 
von Jahrhunderten. Sein Laub ist ein festes Dach gegen Regengüsse 
und Sonnenbrand. Lagere dich unter ihm! Freue dich seiner Kühlung, 
des Schutzes! Horche auf die tausend Stimmen und Klänge, die alten 
Lieder in seinem Wipfel; aber wühle nicht nach seinen unergründ¬ 
lichen Wurzeln! Er ist oben grün — sei zufrieden! 
Cabanis. 7. Ausl. Willibald Alexis. 
2. 
Wo dir Gottes Sonne zuerst schien, wo dir die Sterne des 
Himmels zuerst leuchteten, wo seine Blitze dir zuerst seine Allmacht 
offenbarten und seine Sturmwinde dir mit heiligem Schrecken durch 
die Seele brauseten: da ist deine Liebe, da ist dein Vaterland. 
Wo das erste Menschenauge sich liebend über deine Wiege neigte, 
wo deine Mutter dich zuerst mit Freuden auf dem Schoße trug und 
dein Vater dir die Lehren der Weisheit und des Christentums ins 
Herz grub: da ist deine Liebe, da ist dein Vaterland. 
Und seien es kahle Felsen und öde Inseln, und wohne Armut 
und Mühe dort mit dir, du mußt das Land ewig lieb haben; denn 
du bist ein Mensch und sollst nicht vergessen, sondern behalten in 
deinem Herzen. 
Auch ist die Freiheit kein leerer Traum und kein wüster Wahn, 
sondern in ihr lebt dein Mut und dein Stolz und die Gewißheit, 
daß du vom Himmel stammest. 
Da ist Freiheit, wo du leben darfst, wie es dem tapfern Herzen 
gefällt; wo du in den Sitten und Weisen und Gesetzen deiner Väter 
leben darfst; wo dich beglücket, was schon deinen Ureltervater be¬ 
glückte; wo keine fremden Henker über dich gebieten und keine 
fremden Treiber dich treiben, wie man das Vieh mit dem Stecken treibt.
	        
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