Full text: [Teil 4 = 8. u. 9. Schulj] (Teil 4 = 8. u. 9. Schulj)

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hatte sie nicht vergessen. Das war des Nachtwächters alte Mutter. 
Sie hatte vor fünf Jahren ein böses Gelübde getan. Das 
quälte sie jetzt, denn sie lag im Sterben. Es war an 
einem Wintertag, da trugen sie ihr den Mann tot ins Haus. 
Vorübersprengende Reiter hatten ihn aus Mutwillen geschossen, 
als er auf einem gefällten Stamme saß und sein Brot verzehrte. 
Damals fluchte sie dem Herrgott, weil er solch himmelschreienden 
Greuel geschehen ließ, und sie gelobte, nicht mehr zum Nachtmahl 
zu gehn, solange der Krieg währe. Jetzt lag sie krank zu Bett 
und wußte, daß sie sterben müsse, und sehnte sich nach der 
heiligen Kost. Aber als der Pfarrer ihr zuredete, sie solle der 
Sehnsucht genüge tun, ihr Gelübde sei gottlos gewesen, da 
wandte sie sich zur Mauer und gab keine Antwort. 
Heute nun warf sie sich unruhig auf ihrem Lager herum. 
Der Husten quälte sie und noch etwas. „Mein Vater selig 
ist auf den Christtag gestorben," sagte sie in der Frühe. Nach 
einer Weile stöhnte sie auf. 
„Was ist Euch, Mutter?" fragte der Sohn und eilte ans Bett. 
„Man ist doch auch ein Christenmensch!" flüsterte sie. 
„Morgen ist Nachtmahl in der Gemeinde," fing der Sohn 
wieder an, „wollt Ihr nicht auch, Mutter?" 
Da fragte sie mit hastiger Stimme: „Ist Fried' im Land?" 
Der Nachtwächter schüttelte traurig den Kopf. „Wir erleben's 
nimmer, Mutter, Ihr nicht und ich nicht." Und er ging zur 
Tür hinaus. 
Da trat ihr Enkelsohn an das Bett, ein baumlanger Kerl. 
Er war hinter dem Ofen gesessen und hatte an einem Span 
geschnitzt. „Ich will in die Stadt gehn, Altmutter, und fragen, 
ob Krieg oder Fried' ist. Morgen früh bin ich wieder da." 
„Ja, geh," flüsterte die Kranke in fliegender Hast. „Geh, ehe dein 
Vater kommt, er leidet's sonst nicht." 
„Wen soll ich fragen, Altmutter?" 
„Im Torturm wohnt der Weibel. Seine Frau ist mein 
Patenkind. Die frag', die weiß es. Sie hat von mir ein silbern 
Salzfaß zur Aussteuer. Das soll sie dir geben zum Zeugnis der 
Wahrheit, wenn Fried' ist im Land. Geh, nimm deines Vaters 
Spieß mit, der Wolf —" 
Aber der Junge hörte nicht mehr. Schon eilte er den Berg 
hinab der Waldschlucht zu. 
Sechs Stunden war es bis zur Stadt. Der Weg dahin führte 
durch einsame Heide und wilden Wald,, vorbei an ausgebrannten
	        
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