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Herz and Mund, lobet Ihn zu jeder Stund’I Christ, Kyrie, komm 
zu uns auf dem See! 
Wie mit grimm’gem Unverstand Wellen sich bewegen! Nir¬ 
gends Rettung, nirgends Land vor des Sturmwinds Schlägen! 
Einer ist’s, der in der Nacht, Einer ist’s, der uns bewacht! Christ, 
Kyrie, Du schlummerst auf dem See! 
Wie vor unserm Angesicht Mond und Sterne schwinden! 
Wenn des Schiffleins Ruder bricht, wo nun Rettung finden? Wo 
sonst, als bei dem Herrn? Seht ihr den Abendstern? — Christ, 
Kyrie, erschein’ uns auf dem See! 
Einst, in meiner letzten Noth, lass mich nicht versinken! 
Sollt’ ich von dem bittern Tod Well’ auf Welle trinken: reich’ 
mir dann, liebentbrannt, Herr, Deine GlauDenshand! Christ, Kyrie, 
komm zu uns auf dem See! 
25. Der Bernstein. 
Wer mag wohl daran denken, wenn er aus einer Bernstein¬ 
spitze seine Pfeife raucht, dass er ein Stück Baumharz im Munde 
hat, welches von uralten Nadelbäumen herrührt? 
Lange Zeit wusste man nicht, was der gelbe, durchsichtige 
Bernstein eigentlich sei, bis man die kleinen Käfer. Ameisen und 
Fliegen bemerkte, die mitunter in ihm eingeschlossen sind. Ofl 
fehlen den Thierchen einige Füsse, oder ihre Flügel sind durch 
einander gewirrt und beschädigt; oft aber sind sie auch ganz 
unverletzt und breiten ihre Flügel, oder strecken die Füsse und 
Fühlhörner, als ob sie noch lebten. Da sieht man Springkäfer 
im Fortschnellen, Spinnen, wie sie den Fliegen nachsetzen u. a. m. 
Wie sind diese aus ihrem frischen, fröhlichen Leben so plötzlich 
in die durchsichtige Hülle gekommen, die sie wie ein Glassarg 
amschliesst? — Man sagt, so: Der Bernstein ist ein sehr dünn¬ 
flüssiges, aber schnell erhärtendes Baumharz, das einst in gro¬ 
sser Menge aus einem Baume floss, der früher am Strande der 
Ostsee ganze Wälder bildete. Wenn nun jene Thierlein ihr mun¬ 
teres Leben an den Bäumen führten, so geschah es wohl oft, 
dass das Harz über sie herfloss und bei seinem Erhärten sie fest 
einschloss. Jene Wälder wurden später durch mächtige Finthen 
des Meeres zerbrochen und begraben, und die Bernsteinstücke, 
welche der Mensch jetzt sucht und findet, sind Ueberreste von 
der untergegangenen Herrlichkeit. 
Der Bernstein wird entweder gegraben, oder aus dem Was¬ 
ser gefischt. Fast mit dem Meeresspiegel in gleicher Ebene fin¬ 
det man eine feine, mit blauem Thon durchzogene Erde; in die¬ 
ser liegen die Bernsteinstücke. Beim Graben muss zuerst das 
über jener Erdschicht liegende Gerölle weggeschafft werden. Hier¬ 
auf wird eine Grube in die blaue Erdschicht gemacht und das 
in ihr hervorquellende Wasser abgeleitet. Ist dies geschehen, so 
stellen sich die Arbeiter neben einander und stechen mit ihren 
Spaten vorsichtig eine dünne Erdschicht ab. Jeder giebt dabei 
genau Acht, ob er auf einen harten Gegenstand stösst; in diesem 
Falle zieht er sofort den Spaten zurück. Die einzelnen gefunde- 
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