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ben seines Leibes und seiner Seele willen über Alles liebte, so gedachte er
ihm schon im zarten Alter diejenige Segnung zuzuwenden, welche man da¬
mals über Alles hochschätzte, als sich Karl der Große vom Papste in
Rom zum Kaiser hatte krönen lassen, nämlich die Salbung durch den
Papst. Mit dem erst fünfjährigen Knaben fuhr der Vater über das Meer
und zog mit ihm weiter bis über die Alpen nach Rom. Dort hatte der
Papst Leo seine Freude an dem herrlichen Knaben und salbte und krönte
ihn auf die Bitte seines Vaters.
Dann kehrte Ethelwolf mit seinem Sohne wieder heim und verweilte
auf der Rückkehr längere Zeit am Hofe Karl's des Kahlen in Frankreich.
Er verheiratete sich zum zweiten Male mit dessen Tochter Judith und
nahm diese mit nach England. Aber Osburga, die Mutter Alfred's, lebte
noch und hatte nach wie vor Einfluß auf seine Erziehung. Sie liebte sehr
die alten Lieder und Heldengesänge des Volkes der Angelsachsen und lehrte
sie ihrem kleinen Alfred, der sie mit großer Aufmerksamkeit vernahm. Einst
traten alle ihre Söhne zu ihr und fanden ihre Mutter lesend, da sprach
sie zu ihnen: „Demjenigen von euch will ich dies Buch schenken, der es
zuerst auswendig lernt!" Da erwachte in dem Knaben Alfred die Begierde,
lesen zu lernen, und als er das Buch besah, lockten ihn die schönen großen
Anfangsbuchstaben und er hätte das Buch um jeden Preis gern das seinige
genannt. Darum fragte er noch einmal, ob es denn wirklich Ernst sei,
daß derjenige das Buch erhalten sollte, der es zuerst ihr vorlesen könnte,
und als ihm solches bejaht wurde, entschloß sich Alfred rasch und lernte
nicht allein lesen, sondern auch noch manche andere Kenntnisse, wodurch er
sich später über alle Zeitgenossen erhob.
2. Raubzüge der Dänen.
Nicht minder aber übte sich Alfred in den Waffen, und es kam die
Zeit heran, wo diese Uebung ihm Früchte tragen sollte. Denn alljährlich
brachen die Normannen in's Land, die man in England „Dänen" nannte,
und verheerten Alles mit entsetzlicher Grausamkeit. Ihre Schiffe waren
nur klein, aber desto zahlreicher, so daß oft eine Flotte von 300 Schiffen
zusammen auf einen Raubzug ausging. Denn Rauben und Plündern war
für sie die ehrenvollste Beschäftigung, sie verachteten den Mann, der auf
dem Bette starb; „nur der Tod durch's Schwert" — sagten sie — „ist
des Mannes würdig", und ihre größte Kraft zeigten sie darin, unter quä¬
lenden Wunden lachend zu sterben. Diese Grausamkeit, die sie stand¬
haft zu erdulden vermochten, zeigten sie auch gegen Andere, und nicht zu¬
frieden damit, ihre unschuldigen Opfer zu berauben und zu morden, quäl¬
ten sie dieselben auch auf martervolle Weise.
Sie drangen tief hinein in die Länder; denn ihre Schisse waren klein
und wie sie mit ihnen auf der stürmischen See der Gewalt der Wellen
trotzten, so fuhren sie mit eben denselben Fahrzeugen die Ströme hinauf
bis tief in das Land, und wenn sie an eine Stelle kamen, wo das seichte
Wasser sie nicht mehr tragen konnte, so hoben sie ihre Schiffe auf den