Full text: Das Mittelalter (Theil 2)

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Es kam eine solche Angst über die Römer, daß keiner mehr seinem Nächsten 
trauete und selbst in seinem eigenen Hause kein lautes Wort zu sprechen 
wagte, aus Furcht, die Wände möchten Ohren haben. Mau erwies dem 
Sejau dieselbe Ehre, wie dem Kaiser; auf den Gassen, in den Tempeln 
und Privathäusern wurden ihm Bildsäulen errichtet. Da schöpfte der 
Kaiser Verdacht, und ehe sich's der Günstling versah, ließ er ihn ermorden. 
Nach des Sejanus Hinrichtung wurde Tiberius noch finsterer und 
grausamer. Ost ließ er sich zum Vergnügen vernrtheilte Menschen nach 
Capri bringen, vor seinen Augen foltern und dann von dem Felsen in's 
Meer hinabstürzen. Doch von Zeit zu Zeit wachte sein böses Gewissen 
auf und ließ ihm besonders des Nachts keine Ruhe. Einmal schrieb er 
an den Senat einen Brief, der die Qualen seines Gewissens verrieth und 
mit den Worten anfing: „Was soll ich euch schreiben oder nicht schreiben? 
Die heimlichen Mächte mögen mich noch ärger quälen, als es täglich schon 
geschieht, wenn ich es weiß." — Aber diese innere Angst trieb ihn nicht 
zur Besserung, sondern zu noch größeren Verbrechen, um darin seinen 
glühenden Haß zu kühlen, den er gegen die ganze Menschheit empfand. 
Trotz seines wüsten Lebens wurde Tiberius doch 78 Jahre alt und re¬ 
gierte 24 schreckliche Jahre über Rom. Zuletzt siel er in eine ekelhafte 
und schmerzliche Krankheit, und ans Besorgniß, daß er noch einmal sich 
erholen möchte, erstickte ihn ein Oberst der Leibwache unter aufgeworfenen 
Betten. 
Nero (68 n. Chr.). 
1. 
Nach dem Tiberius bestieg Kajus, mit dem scherzhaften Zunamen 
„Kaligula" (d. i. Stiefelchen), den Thron. Man nannte ihn so, weil 
er schon als Kind im Lager mit kleinen Soldatenstiefeln gesehen wurde. 
Dieser war eben so toll und grausam, ließ allen Bildsäulen des Jupiter 
die Köpfe abschlagen und sein eigenes Bild auf den Rumpf setzen. Er 
wollte selbst als Donnergott verehrt sein und bauete sich Tempel, worin 
seine Statuen göttlich verehrt werden mußten. Endlich ließ er sogar sein 
Pferd zum Konsul ernennen; es residirte in einem marmornen Stalle und 
fraß aus goldenen Gefäßen. Zum Glück ward der Donnergott bald ermordet. 
Sein Nachfolger war Klaudins; der ließ Weiber und freigelassene Sklaven 
für sich regieren, und unterhielt sich dafür mit dem Anblick der Sterbenden, 
deren Zuckungen ihm das angenehmste Schauspiel waren. Er wurde von 
seiner eigenen Gattin vergiftet. Nero aber übertraf noch alle an Grau¬ 
samkeit. Er regierte 54 — 68 n. Chr. und wurde der Mordbrenner 
Roms. Um durch schöne Bauten seinen Namen zu verherrlichen, ließ er 
die Stadt anzünden. Sechs Tage und sieben Nächte dauerte der Brand. 
Als das Feuer am verderblichsten wüthete, sah man den Kaiser auf der 
Zinne seines Palastes im prunkenden Gewände eines Saitenspielers, der 
zum Klange der Leher die Einäscherung Troja's besang. Als er aber
	        
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