Full text: Die neue Zeit (Theil 3)

367 
immer weiter und erlaubten sich sogar grobe Schmähungen gegen den 
König und seine Familie. Am 18. April 1791 wollte dieser mit seiner 
Familie nach dem nahe gelegenen Schlosse St. Cloud fahren, um dort, 
wie gewöhulich, das Osterfest zu feiern. Schon hatte er den Wagen be¬ 
stiegen, als der Pöbel mit lautem Geschrei, welches von der wachthaben¬ 
den Nationalgarde wiederholt wurde, herbeistürzte und forderte, der König 
sollte die Tuilerien nicht verlassen. Lafahette erschien und befahl der Na¬ 
tionalgarde, den Pöbel auseinander zu treiben und dem königlichen Wagen 
Platz zu machen. Vergebens! Der Maire eilte herbei und ermahnte zur 
Ruhe; der König ermahnte und bat, die Königin weinte. Alles vergebens! 
Nachdem der Lärm länger als eine Stunde gedauert hatte, stiegen die 
königlichen Personen wieder aus und kehrten beschimpft in ihr Schloß 
zurück, das nun ihr Gefängniß war. Lafahette war über den Ungehorsam 
der Natioualgarde so aufgebracht, daß er seine Stelle als Kommandant 
niederlegte. 
Nun faßte der König den verzweifelten Entschluß, sich mit seiner Fa¬ 
milie durch die Flucht aus der traurigen Gefangenschaft zu retten. Die 
Nacht vom 20. zum 21. Juni wurde dazu bestimmt. Anfangs schien das 
Unternehmen zu gelingen. Abends langte man in St. Menehould (Menu) 
an. Der dortige Postmeister Drouet, ein wilder Revolutionär, stutzte, 
als er die Königin sah, die er schon früher einmal gesehen hatte, und bald 
hatte er auch den König erkannt. Schon waren die Pferde gewechselt und 
die Reisewagen abgefahren, da faßte der Mann einen kühnen Entschluß. 
Er setzte sich zu Pferde, jagte auf Umwegen dm Reisenden vor und traf 
vor ihnen in Varennes ein. Sogleich wurde die Sturmglocke gezogen, 
das Volk trat unter Waffen und besetzte alle Auswege, und als die könig¬ 
lichen Wagen ankamen, wurden sie sogleich angehalten und die Personen 
zum Aussteigen genöthigt. Anfangs leugnete Ludwig, daß er der König 
sei; als er sich aber immer mehr erkannt sah, rief er wehmüthig aus: 
„Ja, ich bin euer König! In der Hauptstadt von Dolchen und Bajo¬ 
netten umgeben, will ich in der Provinz mitten unter meinen treuen Un¬ 
terthanen die Freiheit suchen, deren ihr Alle genießt; ich kann nicht län¬ 
ger in Paris bleiben, ohne mit meiner Familie umzukommen." Seine 
Worte fanden kein Erbarmen. Er ward als Kriegsgefangener nach Paris 
zurückgebracht, umgeben von zürnenden Pöbelhaufen und Nationalgarde, 
und es fehlte wenig, daß ihn der Pariser Pöbel beim Aussteigen gemi߬ 
handelt hätte. 
Dieser mißlungene Versuch verschlimmerte noch die Lage der unglück¬ 
lichen königlichen Familie. Es wurden noch strengere Maßregeln zu ihrer 
Bewachung getroffen; die Königin durfte nicht einmal die Thür ihres 
Schlafzimmers schließen, und als der König selbst sie einst schloß, öffnete 
der wachthabende Offizier sie sogleich wieder und sagte dabei kalt: „Sie 
machen sich nur unnütze Mühe, wenn Sie die Thür schließen."
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.