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immer weiter und erlaubten sich sogar grobe Schmähungen gegen den
König und seine Familie. Am 18. April 1791 wollte dieser mit seiner
Familie nach dem nahe gelegenen Schlosse St. Cloud fahren, um dort,
wie gewöhulich, das Osterfest zu feiern. Schon hatte er den Wagen be¬
stiegen, als der Pöbel mit lautem Geschrei, welches von der wachthaben¬
den Nationalgarde wiederholt wurde, herbeistürzte und forderte, der König
sollte die Tuilerien nicht verlassen. Lafahette erschien und befahl der Na¬
tionalgarde, den Pöbel auseinander zu treiben und dem königlichen Wagen
Platz zu machen. Vergebens! Der Maire eilte herbei und ermahnte zur
Ruhe; der König ermahnte und bat, die Königin weinte. Alles vergebens!
Nachdem der Lärm länger als eine Stunde gedauert hatte, stiegen die
königlichen Personen wieder aus und kehrten beschimpft in ihr Schloß
zurück, das nun ihr Gefängniß war. Lafahette war über den Ungehorsam
der Natioualgarde so aufgebracht, daß er seine Stelle als Kommandant
niederlegte.
Nun faßte der König den verzweifelten Entschluß, sich mit seiner Fa¬
milie durch die Flucht aus der traurigen Gefangenschaft zu retten. Die
Nacht vom 20. zum 21. Juni wurde dazu bestimmt. Anfangs schien das
Unternehmen zu gelingen. Abends langte man in St. Menehould (Menu)
an. Der dortige Postmeister Drouet, ein wilder Revolutionär, stutzte,
als er die Königin sah, die er schon früher einmal gesehen hatte, und bald
hatte er auch den König erkannt. Schon waren die Pferde gewechselt und
die Reisewagen abgefahren, da faßte der Mann einen kühnen Entschluß.
Er setzte sich zu Pferde, jagte auf Umwegen dm Reisenden vor und traf
vor ihnen in Varennes ein. Sogleich wurde die Sturmglocke gezogen,
das Volk trat unter Waffen und besetzte alle Auswege, und als die könig¬
lichen Wagen ankamen, wurden sie sogleich angehalten und die Personen
zum Aussteigen genöthigt. Anfangs leugnete Ludwig, daß er der König
sei; als er sich aber immer mehr erkannt sah, rief er wehmüthig aus:
„Ja, ich bin euer König! In der Hauptstadt von Dolchen und Bajo¬
netten umgeben, will ich in der Provinz mitten unter meinen treuen Un¬
terthanen die Freiheit suchen, deren ihr Alle genießt; ich kann nicht län¬
ger in Paris bleiben, ohne mit meiner Familie umzukommen." Seine
Worte fanden kein Erbarmen. Er ward als Kriegsgefangener nach Paris
zurückgebracht, umgeben von zürnenden Pöbelhaufen und Nationalgarde,
und es fehlte wenig, daß ihn der Pariser Pöbel beim Aussteigen gemi߬
handelt hätte.
Dieser mißlungene Versuch verschlimmerte noch die Lage der unglück¬
lichen königlichen Familie. Es wurden noch strengere Maßregeln zu ihrer
Bewachung getroffen; die Königin durfte nicht einmal die Thür ihres
Schlafzimmers schließen, und als der König selbst sie einst schloß, öffnete
der wachthabende Offizier sie sogleich wieder und sagte dabei kalt: „Sie
machen sich nur unnütze Mühe, wenn Sie die Thür schließen."