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(Jiner jedoch bewahrt Würde und Ernst: der Oberknecht. Der Bauer gibt
seinen Tagesbefehl nur an ihn und er mit seinen Leuten vollzieht ihn.
Er führt sein Volk zum und vom Acker, zum und vom Tisch. Er ruft um
3 Uhr morgens mit seinem dröhnenden „Auf!" seine sämtlichen Leute aus
den Federn. Um 4 Uhr steht er am Acker; da läutet die Gebetglocke den
Tag an. Dann fahren die Erntesicheln zischend in die Ähren. Und nun
ein ameisenartiges Regen und Schaffen! Der Oberknecht schneidet im Eil¬
schritte voraus und die andern müssen ihm alle nach wie eine wohlgefügte
Schlachtordnung.
Punkt 8 und 3 Uhr erdröhnt in den Feldbreiten die Stimme des Ober¬
knechtes: „Zum Brot!" denn ebenso pünktlich ist auch der Hausbote da mit
einem mächtigen Kruge Bier und einem nicht kleinen Laib Brot. Der
Knecht schneidet Scheiben vom Brotlaib, welche die andern emsig in
die Schüssel brocken. Das gibt einen beliebten und kräftigend nahrhaften
Schmaus.
Steigt die Sonne immer höher und klebt den Schnittern die Zunge
am ausgetrockneten Gaumen, so erscheinen die „Wasserbuben". Da radell
soeben einer vom Hof heraus in das Feld, das „Wasserlagl" auf seinem
Zweiradkarren. Ist das Füßchen hinuntergegluckt in die heißen Kehlen, so
läuft er fort und kommt hurtig wieder mit einem frischen Lagel, vom Schnitter¬
volke stets freudig begrüßt und belobt. Sengt die Erntesonne recht bren¬
nend herab, dann mischt die Bäuerin etwas Essig in den Brunnenquell.
Das gibt einen köstlichen Labetrunk von der einen Brotzeit zu der andern.
Den letzten Ahrenbüschel berührt nach der Jnlandssitte keine Ernte¬
sichel mehr; er bleibt stehen; weibliche Hände flechten Feldblumen drein und
winden buntfarbige Bändchen herum. Nun sendet das Schnittervolk ein
Dankgebet zu Gott; dann aber umschlingen sich die Paare und tanzen um
die geschmückten letzten Ähren einen fröhlichen Feldreigen.
Ist das Getreide unter Sichel und Sense gefallen, so beginnt ein anderes
wichtiges Erntegeschäft: das Einfahren. Drei aufgeleiterte Wägen stehen im
Hofe, an jedem zwei markige, schneidige Gäule; und nun hinaus in das Feld!
Der Ober- und der Anderknecht geben die Weizengarben und Gerstenbüschel
auf. Das geht hurtig und wie am Schnürchen auch ohne Bauer; aber er
greift auch selbst zu, namentlich bei unbeständiger Sonne.
Die vier Scheunentore stehen flügelweit offen. Die Ablader harren im
Speicherviertel und mit ihnen der Ochs, der „treten" muß. Das erste
Weizen- und Gerstenfuder fährt der Bauer eigenhändig vom Feld in die
Scheune und besprengt sie mit einigen Tropfen geweihten Wassers, damit der
Himmel, wie er die goldene Frucht auf der Flur geschont, sie auch behüten
möge vor Wirbelsturm, Feuer und Speicherwurm.
Ein eigenartiges Schauspiel ist es, zuzuschauen wie der „Gersten¬
stock" emporwächst. Von den Abladern erklimmt immer abwechselnd ein
anderer die Fuhre, um die Gerste vom Wagen in das Viertel zu gabeln;
die übrigen greifen danach und werfen sie auseinander; der Ochs aber, ge-