Full text: Lesebuch für unterfränkische Fortbildungsschulen

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Gasse entlang schritt er dem Rathause zu; ein Diener trug ihm daS schwere 
Hauptbuch nach. Im Ratssaale legte er vor den erstaunten Kollegen die 
Ehrenzeichen seiner Würde ab und gab sich als zahlungsunfähig an. Die 
Herren erschraken, sahen seine Bücher ein, erkannten daraus seine Schuld¬ 
losigkeit und beschlossen einstimmig, daß ihm noch eine halbjährige Frist ge¬ 
stattet sein sollte als die äußerste Zeit, in der man Jansen noch zurück¬ 
erwarten könne, wenn das Schiff nicht verunglückt sei. 
Das halbe Jahr und zwei Monate darüber waren schon verstrichen; 
Jansen war nicht gekommen. Hermanns Umstände hatten, statt sich zu heben, 
sich nur verschlimmert; da drangen die schon durch die Fristvergünstigung er¬ 
bitterten Gläubiger so ungestüm auf die öffentliche Versteigerung seiner Besitz¬ 
tümer, daß der Magistrat notgedrungen dem Rechte in voller Äusdehnung 
seinen Gang lassen mußte. Es war versiegelt worden und dem armen Gruit 
nebst Familie nur das kleine Stübchen, wo sonst der Hausknecht schlief, links 
am Haupteingange des Hauses, geblieben. 
Eben hatte die Versteigerung der fahrenden Habe im geräumigen Kontor, 
dem Stübchen gegenüber, begonnen; gedrängt voll Menschen war das Zimmer; 
laut tönte die Stimme des Ausrufers. Schrecklich klang dieser Ruf Herrn 
Hermann drüben im Stübchen und mit jedem Niederfallen des Hammers fuhr 
es ihm wie ein Schwert durchs Herz. Er saß, den Kopf in die Hand ge¬ 
stützt, tiefsinnig am Fenster und starrte das Schild seines Nachbarn, des Wirtes 
zum Westindienfahrer, an, als wollte er es mit den Aügen festnageln. Die 
gute Frau Elisabeth aber saß am Ofen, die rotgeweinten Augen zur Erde 
gewendet, die Hände gefaltet und fest zusammengepreßt, während die beiden 
jüngeren Knaben, unbekümmert um alles, mit der großen Angorakatze spielten. 
Fritz aber, der älteste, hielt den quer vor der Tür liegenden zottigen Voll, 
den Haushund, bei beiden Ohren fest, als er auf ein Anklopfen an die Tür 
murrend aufspringen wollte, und sagte begütigend: „Sei nur still, Voll; ich 
leid's nicht, daß sie dich verkaufen." Vorsichtig über den Hund wegschreitend, 
trat Stephan, der Ratsdiener, herein, ein gutmütiger Alter, der früher so oft 
mit freundlichem Bücklinge Herrn Hermann in besseren Zeiten die Tür des Rots¬ 
saales geöffnet hatte, und sagte mit vor Mitleid zitternder Stimme: „Herr 
Senator, den Lehnsessel soll ich holen." Da wandte Hermann den Blick und 
sprach seufzend: „Ach, das ist das Härteste; doch dein Wille, o Gott, 
geschehe!" Es war der mit grünem Sammet beschlagene Lehnsessel des 
seligen alten Herrn, worin er sanft verschieden war, nachdem er noch den 
väterlichen Segen erteilt hatte, bis dahin als unberührbares Heiligtum im Hause 
gehalten. 
Hinaus ward der Sessel getragen und ihm folgte mechanisch die ganze 
Familie nach, als könne sie sich nicht davon trennen, Fritz mit dem Voll vor¬ 
aus. Der Auktionator rief: „Nr. 120, ein noch gut beschaffener Lehnsessel, 
mit Sammet beschlagen!" — und ein lange Pause folgte, da sich alle Blicke 
nach der jammernden Familie gewendet batten. Endlich rief die schnarrende
	        
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