Full text: Vaterländisches Lesebuch für die Evangelische Volksschule Norddeutschlands

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bis er mich wieder zu sich gewöhnte. Die Mutter stäupte mich einmal um 
einer geringen Nuß willen, daß das Blut danach floß; aber sie meinten es 
herzlich gut." — 14Jahre alt schickte ihn sein Vater nach Magdeburg und 
1 Jahr später nach Eisenach, wo er seiner Mutter Freundschaft hatte, 
damit er es im Lernen weiter bringen könnte, als in Mannsfeld. Daselbst, 
sonderlich zu Eisenach, hat er den Brotreigen vor den Thüren gesungen 
und das Brot vor den Häusern genommen. 1501 ging er nach Erfurt 
auf die hohe Schule. Obwohl von Natur ein hurtiger und fröhlicher Ge¬ 
selle, fing er alle Morgen sein Lernen mit herzlichem Gebet und Kirchen¬ 
gehen an, wie denn dies sein Sprichwort war: „Fleißig gebetet, ist über 
die Hälfte studiert." Einmal, wie er die Bücher in der Universitäts- 
Bibliothek fein nach einander besieht, kommt er über die lateinische Bibel. 
Da vermerkt er mit großem Verwundern, daß viel mehr darin steht, als 
man in den gewöhnlichen Postillen und auf den Kanzeln pflegte auszulegen. 
Wie er sich im A. T. umsieht, kommt er über Samuelis und seiner Mutter 
Hanna Geschichte, und weil ihm dies alles neu war, fängt er an von Grund 
seines Herzens zu wünschen, unser getreuer Gott wolle ihm einst auch ein 
solch Buch bescheren. 
In großer Angst um seiner Seelen Seligkeit, insonderheit als ihm 
sein guter Freund erstochen ward und ihn ein großes Wetter und gräu¬ 
licher Donnerschlag hart erschreckte, so daß er zur Erde niederfiel, ging er 
1505 in das Kloster, um dort mit Mönchswerken Gott zu dienen und die 
Seligkeit zu erwerben. Aber obwohl er mit Wachen, Beten, Lesen und 
anderer Arbeit sich fast zu Tode marterte, war er doch immer traurig; er 
würde verzweifelt sein, wenn ihm Gott nicht in seiner Noth einen alten 
Klosterbruder zugeschickt hätte. Dieser verwies ihn, als er ihm seine An¬ 
fechtungen klagte, auf die Worte: „Ich glaube eine Vergebung der Sün¬ 
den." Es sei nicht genug, im allgemeinen zu glauben, daß etlichen ver¬ 
geben werde, wie auch die Teufel glauben, daß dem David oder Petrus 
vergeben sei, sondern das sei Gottes Wille, daß jeglicher glaube, daß ihm 
vergeben werde. 
Im Jahre 1508 kam Luther wegen seiner sonderlichen Geschicklichkeit 
und ernstlichen Frömmigkeit als Lehrer an die neue Universität nach Wit¬ 
tenberg. Er lehrte so gewaltig, daß sich verständige Männer sehr ver¬ 
wunderten und einer sagte: „Dieser Mönch wird alle Doetoren irre machen 
und eine neue Lehre aufbringen und die ganze römische Kirche reformieren; 
denn er legt sich auf der Propheten und Apostel Schrift und stehet auf 
Jesu Christi Wort." 
1510 wurde er in Klostergeschäften nach Rom geschickt, davon er 
später oftmals gesagt hat: „Ich wollte nicht 100,000 Gulden nehmen, 
daß ich Rom nicht gesehen hätte." In Andacht war Luther nach Rom 
gekommen und hoffte dort, den Frieden für seine Seele zu finden. Aber 
er entsetzte sich über die gotteslästerlichen Reden der Priester bei Tische. 
„Daneben ekelte mir sehr, daß sie so sicher und fein rips raps konnten 
Messe halten, als trieben sie ein Gaukelspiel; denn ehe ich zum Evangelio
	        
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