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Tagesordnung r und ferne Liebesabenteuer ließen ihn Krone und Heer
vergessen. Schöne Frauen, unter ihnen besonders Agnes Sorel, be¬
herrschten seinen Hof. Nur wenige hatten den hohen und vaterländischen
Smn seiner klugen und entschlossenen Gemahlin Maria von Anjou, die
nicht aufhörte, ihn an seine königliche Ehre zu mahnen und ihn' an¬
zufeuern, seine Ansprüche auf Frankreichs schönen Thron nicht leicht¬
sinnig aufs Spiel zu setzen.
Schon hatte Bedford alle feste Plätze, bis auf Orleans, in seiner
Gewalt; er belagerte auch diese Stadt, und der Augenblick schien nicht
fern, wo sich die französische Besatzung, durch Hungersnoth gezwungen,
würde ergeben müssen. Karl war in einer verzweifelten Lage; nur ein
Wunder schien ihn retten zu sönnen und ein Wunder hat ihn gerettet.
Ein einfaches Hirtenmädchen kam in's Lager des Dauphin, verkündigend,'
daß sie berufen sei, Orleans zu retten.
Johanna d'Arc, die Tochter eines Bauern aus dem Dorfe
Domremy an der Grenze von Lothringen, geboren im Jahre
1409, glaubte seit ihrem dreizehnten Jahre die Heiligen zu sehen
und Stimmen vom Himmel in besonderer Berufung zu vernehmen.
Unter einem alten Buchenbaume, an welchen die Bewohner des Kirch¬
spiels ihre Sagen knüpften, dessen Schatten wunderkräftig war für
Fieberkranke, und um welchen beim Maifest die Jugend ihre Tänze
hielt, die alten Aefte mit Kränzen schmückend, unter diesem Feenbaum
ward Johanna von ihren Stimmen (ses voix) zur Hülfe des Dauphin
ausgerufen. Anfangs verlacht und gescholten, erwarb sie sich Achtung
und Anerkennung durch ihre Klugheit, Sittsamkeit und ihren festen
Glauben. Als Gottgesandte ward sie alsbald nach ihrem Begehren mit
Waffen und Rüstung ausgestattet. Mit einem alten geweihten Schwerte
einem kurzen Beil und einer weißen Fahne mit Lilien besäet und dem
Bilde Christi auf einem Wolkenthrone, so sandte man sie zum Heere
Die Franzosen glaubten unter dem sichtbaren Schutze des Himmels zu
streiten, die Engländer erwarteten einen Kampf mit den höllischen
Geistern.
In stählernem Panzer, das Haupt mit dem glänzenden Helm ge¬
schmückt, die heilige Fahne tragend, schritt sie vor dem Heere einher.
Unverzagt und kaltblütig mitten im Gefecht, war sie von Natur doch sanft
und zog ihr Schwert nur in der äußersten Noth. Zweimal verwundet,
stand sie nach kurzem Gebet wieder auf, mit ungeschwächtem Muthe
ihren Platz von Neuem einnehmend. Wohin sie ihre Schritte lenkte,
begleitete sie der Sieg. Sie schlug die Feinde, die vor Orleans standen^
und brachte den Belagerten Lebensrnittel und Verstärkung. Dann führte
sie den Dauphin mit einem kleinen Heere vierzig Meilen weit, mitten
durch die Feinde, nach Rheims. Karl VII. wurde allda, wie es die
Jungfrau verkündet, mit aller Pracht gekrönt. Johanna d'Arc glaubte
ihre Aufgabe gelöst zu haben; si<> verlangte in ihr heimathliches Thal