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Damit stand er auf, warfden Wappenrock auf feine Achsel und nahm Ur¬
laub. bot uns seine Hand und sagte: „Wenn ihr gen Wittenberg kommt, so
grüßt mir den vr. Hieronymus Schürpf." Sprachen wir: „Wollen es gern
und willig thun, aber wie sollen wir euch nennen, daß er den Gruß von
euch versteht?" Sprach er: „Sagt ihm nicht mehr, als dies: Der da
kommen soll, läßt euch grüßen, so versteht er die Worte bald." Also ging
er von uns und zur Ruhe. Darnach kamen die Kaufleute wieder in die Stube,
hießen den Wirth ihnen noch einen Trunk austragen und unterhielten sich
viel, wer doch der Gast wäre. Doch der Wirth ließ sich merken, er hielte
ihn für den Luther, und die Kaufleute glaubten es und bedauerten, daß sie
so ungeschickt vor ihm geredet hätten. Am Morgen suchten sic ihn im
Stalle auf und baten, er möge ihnen nickt zürnen für das, was sie gesagt.
Aber Martinus hat geantwortet: „Ihr habt über dem Nachtessen gesagt,
ihr wolltet dem Luther beichten; dann werdet ihr sehen und erfahren, ob
ich Martinus Luther sei." Dann ist er bald aufgesessen und gen Wittenberg
geritten.
Am Samstag darnach kamen wir auch nach Wittenberg und kehrten
bei dem vr. Hieronymus Schürpf ein, unsere Briefe zu überantworten. Wie
man uns in die Stube ruft, siehe, da finden wir Martinus gleichermaßen
wie zu Jena, bei Philipp Melanchthon, Nicolaus Amsdorf und anderen,
erzählend, was sich in seiner Abwesenheit zu Wittenberg begeben habe. Er
grüßt uns und lächelt, zeiget mit dem Finger und spricht: „Dies ist der
Philipp Melanchthon, von dem ick euch gesagt habe."
21. Die Uebergabe der Augsburgischeu Consesston 1530.
Der 25. Junius, der Sonnabend nach Johannis, war herangekom¬
men. Es war einer der schönsten Tage der Christenheit. Sämmtliche Kur¬
fürsten und Stände verfügten sich Nachmittags drei Uhr auf des Bischofs
von Augsburg Hof, wo der Kaiser wohnte und wo in der Kapelle deS
Kaisers die Vorlesung der Confession geschehen sollte. Das Zimmer war
auch so groß, daß 200 Personen bequemPlatz darin fanden; doch ließ der
Kaiser alle abtreten, die nicht Fürsten oder Abgeordnete waren. Die beiden
kursächsischen Kanzler, vr. Brück und vr. Bayer, traten hierauf in die
Mitte des Zimmers, jener das lateinische, dieser das deutsche Exemplar in
der Hand haltend. Der deutsche Kurfürst zu Sachsen aber wendete ein:
sie wären auf deutschem Grund und Boden, er hoffe demnach, Jhro Maje¬
stät würde auch die deutsche Sprache erlauben. Der Kaiser bewilligte es.
Der Kanzler vr. Brück hielt erst noch eine kurze Rede im Namen der pro¬
testierenden Stände. und nun erfolgte die Vorlesung des Bekenntnisses durch
den Kanzler vr. Bayer. Die Vorlesung dauerte fast zwei Stunden; doch
wurde mit Ernst und Stille zugehört. Der knrsächsische Kanzler las so
laut und vernehmlich, daß man auch im Schloßhof, wo eine große Menge
Menschen versammelt war, alle Worte vernehmen konnte. Dergleichen zu
hören hatte man nicht verhofft. Alle die falschen Vorstellungen, welche die
Vaterländisches Lesebuch. , <1