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Diese Thür und der Raum, zu dem sie führt, ist sicherlich die größte Eigen¬
thümlichkeit des Altlünderhauses und mag vielleicht als einziges Beispiel seiner
Art dastehen. Niemand kann durch sie hineingehen, denn sie ist ohne Drücker
und Klinke und von außen nicht zu öffnen; es geht auch niemand heraus, denn
man kann sie von außen nicht wieder schließen. Eine Staatsthür, wie sie in
einigen Gegenden Hollands vorkommt, die nur bei feierlichen Gelegenheiten ge¬
braucht wird, ist sie auch nicht, denn sie führt zu nichts anderem als zu einer
Vorrathskammer, welche die werthvollste bewegliche Habe des Hauses: die Kleider¬
schränke, Bettkisten und Leinenkoffer enthält. — Dies Prachtstück ist lediglich eine
Noththür und nur dazu bestimmt, eine schnelle Rettung jener Hausschätze bei
Feuersgefahr zu ermöglichen. Daher ist sie auch nur von innen mit zwei starken
Riegeln verschlossen. In der Borrathskammer selbst schläft niemand, aber die
Alkoven, welche stets in sie hineingebant sind, haben bewegliche, die Ueberwachung
der Kammer vermittelnde Schieber. Das nöthige Licht fällt durch ein paar kleine,
stark vergitterte Fenster, oder auch nur durch das oben beschriebene der Thür.
Ueber jenem Prachtfenster liegt, etwas hervorspringend und von Consolen
getragen, der große Balken, welcher das Untergeschoß vom Giebel scheidet. Als
ein Hauptglied ist auch er durch besonderen Farbenschmuck hervorgehoben und
führt die Jahreszahl der Erbauung, den Namen des Bauherrn und des Hauses
alten Wahlspruch.
Darüber erhebt sich sodann, spitz und schmal in die Höhe gezogen und wieder
einige Male etwas vorspringend, das Giebeldreieck und endlich ganz oben an der
Stirne des Firstes schaut man das höchst eigenthümliche und interessante Schwanen-
zeichen. Dieses ist ganz so angebracht wie das uralte Zeichen des Sachsenstammes.
Während aber die beiden Pferdeköpfe desselben im Lünebnrgschen und weiter noch
an der Elbe hinauf nach innen schauen, und diejenigen im Bremenschen und an
der Weser stromaufwärts bis in Westfalen nach außen gekehrt sind, stellen diese
altländischen Zeichen zwei Schwäne vor, von denen jeder sich in die Brust beißt.
Da sie nur aus dünnen Brettern gesägt sind, so ist der größeren Haltbarkeit wegen
das Innere des Ringes, den jeder Hals bildet, mit einer Füllung versehen, die
entweder aus einem Kreuze oder aus einer gekrümmten Tulpe besteht.
Dieses Schwanenzeichen ist für die altländischen Wohnungen sehr bedeutsam.
In keiner Marsch noch Geest, weit und breit umher, finden wir es. Erst in einer
Gegend Nordflanderns tritt es wieder auf, ist aber hier schon dem Verlöschen nahe.
Auch im Innern der Häuser tritt uns überall eine echt niederländische Farben¬
liebhaberei entgegen. Wie in den anderen Marschen ist auch hier fast immer bei
größeren Häusern die Dreschdiele von dem Raume, an welchen die Zimmer stoßen,
durch eine Wand (Windfang) getrennt. Hier, wie in dem durchweg niedrigen
Stübchen, leuchtet alles im buntesten Farbenschmucke, sei es nun Decke, Wand,
Fensterrahmen oder Thür. Die Wände sind auch zuweilen nach holländischer
Weise mit den bekannten weißen und bunten Favencefliesen belegt, und an der
Thüreinfassung sieht man sogar oft altes, schönes Schnitzwerk in reichster Fülle.
Maler von Profession giebt es dennoch nur wenige im Lande. Der altländer
Bauer streicht und pinselt selbst Jahr aus Jahr ein an seinen Häusern, daher
denn auch selbst die allerältesten ein immer neues, glänzendes Aussehen haben.