Full text: [Teil 4 = Kl. 5 u. 4] (Teil 4 = Kl. 5 u. 4)

zum Berge, die sollten zwischen den Steinen nachgraben, ob sie nicht 
das unterirdische Gewölbe fänden. Und wieder hundert Männer suchten 
Tag für Tag die ganze Gegend ab nach Spuren des verlorenen Kindes. 
Aber alles Nachforschen und Suchen und Graben war ohne Nutzen, ob 
die Frau gleich die Hälfte ihres Schatzes darauf verwendete. Sie mußte 
einsehen, daß alle Mühe, das Kind zu finden, vergeblich wäre. Da ver¬ 
schloß sie sich tagelang in ihrer Kammer, weinte und betete. Als eine 
andere trat sie dann wieder hervor, verteilte die letzte Hälfte des Schatzes 
unter die Armen und tat Gutes, wo sie konnte. 
So verging ein Jahr, und die Osterzeit, um die sie ihr Kindlein 
verloren hatte, kam wieder heran. Am Karfreitag ging die Frau aber¬ 
mals hinaus auf die Landskrone, um die Stelle zu suchen, wo sie vorm 
Jahr so glücklich und doch so unglücklich gewesen war. Und siehe! Da 
öffnete sich mit einem Male wieder jene unterirdische Pforte mit ihren 
gleich Karfunkeln blitzenden Schätzen. Sie aber, tränend und sehnend, 
sah nichts als ihr Kindlein, das, immer noch auf jenem runden Tische 
sitzend, munter mit den frischen Äpfeln spielte und freundlich ihr die 
Arme entgegenstreckte. Gar gern wählte sie diesmal statt all der toten 
Schätze den lebenden und trug ihn unter Tränen des Glückes nach Hanse. 
163. Schwabenstreiche. Von Gotthold Klee. 
Sieben Bücher deutscher Bottssagen. 2. Ausl. Gütersloh 1906. S. 691. 
Oie Ganzloser. 
In einer Gebirgsschlucht des Filstals liegt das Dorf Ganzlosen. 
Als dessen Kirche erbaut worden, brachte man an der Seite auch 
eine Sonnenuhr an. Jedermann freute sich darüber; nur der 
Schultheiß bemerkte mit bedenklichem Gesicht, daß der Regen die 
schönen Farben bald abspülen werde, weshalb er den Rat erteilte, 
daß man ein schützendes Dach über die Sonnenuhr herrichten 
lasse. Das tat denn die Gemeinde auch sogleich, und alle be¬ 
wunderten die Weisheit und Fürsicht ihres Schultheißen. 
Die Qanzloser hatten einstmals einen neuen Gemeindebrunnen 
graben lassen und hätten gar zu gern gewußt, wieviel Mann tief 
der Brunnen wohl sein möge. Da legte der Schultheiß eine Stange 
quer über den Brunnen und hing sich daran und befahl, daß sich 
an seine Füße ein Gemeinderat hängen solle und an dessen Füße 
wieder einer und so fort, bis man auf den Boden komme. Da 
hingen nun bereits ihrer fünf oder sechs aneinander und zogen 
alle zusammen an den Füßen des Schultheißen, also daß diesem 
die Last fast zu schwer wurde und die Hände ihm schier von der 
Stange abgleiten wollten. Da besann er sich aber schnell und rief: 
„Haltet fest, ihr da unten! 1 muß emol in d’ Händ’ spei’n!“ 
Porger-Wolff, Lesebuch für Knaben-Mittelschulen. IV. Schlesien. 14
	        
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