zum Berge, die sollten zwischen den Steinen nachgraben, ob sie nicht
das unterirdische Gewölbe fänden. Und wieder hundert Männer suchten
Tag für Tag die ganze Gegend ab nach Spuren des verlorenen Kindes.
Aber alles Nachforschen und Suchen und Graben war ohne Nutzen, ob
die Frau gleich die Hälfte ihres Schatzes darauf verwendete. Sie mußte
einsehen, daß alle Mühe, das Kind zu finden, vergeblich wäre. Da ver¬
schloß sie sich tagelang in ihrer Kammer, weinte und betete. Als eine
andere trat sie dann wieder hervor, verteilte die letzte Hälfte des Schatzes
unter die Armen und tat Gutes, wo sie konnte.
So verging ein Jahr, und die Osterzeit, um die sie ihr Kindlein
verloren hatte, kam wieder heran. Am Karfreitag ging die Frau aber¬
mals hinaus auf die Landskrone, um die Stelle zu suchen, wo sie vorm
Jahr so glücklich und doch so unglücklich gewesen war. Und siehe! Da
öffnete sich mit einem Male wieder jene unterirdische Pforte mit ihren
gleich Karfunkeln blitzenden Schätzen. Sie aber, tränend und sehnend,
sah nichts als ihr Kindlein, das, immer noch auf jenem runden Tische
sitzend, munter mit den frischen Äpfeln spielte und freundlich ihr die
Arme entgegenstreckte. Gar gern wählte sie diesmal statt all der toten
Schätze den lebenden und trug ihn unter Tränen des Glückes nach Hanse.
163. Schwabenstreiche. Von Gotthold Klee.
Sieben Bücher deutscher Bottssagen. 2. Ausl. Gütersloh 1906. S. 691.
Oie Ganzloser.
In einer Gebirgsschlucht des Filstals liegt das Dorf Ganzlosen.
Als dessen Kirche erbaut worden, brachte man an der Seite auch
eine Sonnenuhr an. Jedermann freute sich darüber; nur der
Schultheiß bemerkte mit bedenklichem Gesicht, daß der Regen die
schönen Farben bald abspülen werde, weshalb er den Rat erteilte,
daß man ein schützendes Dach über die Sonnenuhr herrichten
lasse. Das tat denn die Gemeinde auch sogleich, und alle be¬
wunderten die Weisheit und Fürsicht ihres Schultheißen.
Die Qanzloser hatten einstmals einen neuen Gemeindebrunnen
graben lassen und hätten gar zu gern gewußt, wieviel Mann tief
der Brunnen wohl sein möge. Da legte der Schultheiß eine Stange
quer über den Brunnen und hing sich daran und befahl, daß sich
an seine Füße ein Gemeinderat hängen solle und an dessen Füße
wieder einer und so fort, bis man auf den Boden komme. Da
hingen nun bereits ihrer fünf oder sechs aneinander und zogen
alle zusammen an den Füßen des Schultheißen, also daß diesem
die Last fast zu schwer wurde und die Hände ihm schier von der
Stange abgleiten wollten. Da besann er sich aber schnell und rief:
„Haltet fest, ihr da unten! 1 muß emol in d’ Händ’ spei’n!“
Porger-Wolff, Lesebuch für Knaben-Mittelschulen. IV. Schlesien. 14