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langten nach kurzer Wanderung in den nahegelegenen Kur- und Badeort
Warmbrunn, dessen weiße Häuser aus anmutigem Grün hervorschauen.
Immer freier und großartiger öffnete sich inzwischen der Blick auf das
Gebirge, das wie eine finstere Riesenmauer vor uns emporstieg.
Es war Abend, als wir uns dem Gebirge näherten. Das Regen¬
wetter der verflossenen Tage hatte lange, weiße Wolkenschichten zurück¬
gelassen, die nun auf halber Höhe des Riesenkammes schwebten und den
rechten Maßstab für dessen Höhe gaben. Ab und zu trat der Mond
aus zerteiltem Gewölk hervor; ferne Wasser blitzteil aus der dunklen
Landschaft auf, bis die bewaldeten Vorberge näherrückten und einladend
schimmernde Lichter aus den Fenstern niederer Bauernhäuser uns den Ort
Hermsdorf am Fuße des Kynast verkündeten.
Während der Nacht hatte sich das Wetter geklärt. Der Morgen zog
klar über das Gebirge herauf, als wir über tauperlende Wiesen und
durch harzduftende, stille Tannenwälder dem Kynast zustiegen. Frisch wehte
die Morgenluft; die Vögel erwachten und stimmten helle Lieder an, und
die ersten Sonnenstrahlen schweiften über Berg und Tal. Immer weiter
breitete sich bei jedem Rückblick die Ferne aus. Plötzlich schimmerte
moosumwuchertes Mauerwerk zwischen den braunen, rissigen Baum¬
stämmen hindurch, und eseuumsponnene Burgtrümmer ragten auf kühnen
Felsklippen empor.
Ein Gasthaus hat sich im Bereich der alten Ruine eingebettet, und
ein alter, hoher Wartturm mit verwittertem Gestein steht daneben auf
dem höchsten Gipfel des Berges, der nach der andern Seite hin in
jähem, schwindelndem Absturz zum finstern Höllengrund sich senkt. Diese
Ruine ist der vielbesungene, sagenumwobene Kynast. Vom Turm hinab
fällt der Blick auf das schmale Felsgesims, von dem herab der Schwindel
die unglücklichen Ritter in die grausige Tiefe stürzte, wenn sie auf das
Verlangen der stolzen Gräfin den Ritt um die Burg wagten.
Furchtbar in der Tat ist dieser Felsabhang; aber nicht minder er¬
haben ist der Blick in die Ferne und auf das nahe Gebirge, das hier bei
klarem Wetter in seiner ganzen Länge überschaut werden kann. Dort
im Osten ragt die Schneekoppe über den kahlen Kamm, westlich davon
die Sturmhaube und das hohe Rad, an dessen Abhänge man die beiden
Schneegruben erblickt; noch weiter gegen Westen liegt der finstere Reif¬
träger wie der Deckel eines Riesensarges auf der einsamen Hochfläche des
düsteren Kammes.
Vom Kynast aus führen mehrere stille Waldpfade dem Herzen des
Gebirges zu. Es ist eine feierliche Ruhe, die in diesen Tälern herrscht,
in denen nur däs Rauschen der klaren Bergbäche, das Wehen des Windes
in den hohen Laub- und Nadelkronen und die Stimmen der Vögel zu
vernehmen sind. Unser Führer aber erzählt im Weitergehen unverdrossen
seine Geschichten von den Tücken des Berggeistes Rübezahl, der hier im