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Kriemhildens Thüre niederlegen. Hier fand ihn die Un¬
selige, als sie am ändern Morgen sich anschickte, zur
Frühmesse zu gehen. Jammernd warf sie sich über den
geliebten Toten hin, nahm sein schönes Haupt in den
Arm und küfste die bleichen Lippen. „Wehe, wehe!“
rief sie klagend, „du bist ermordet! Ermordet bist du!
dein Schild ist nicht zerhauen. Brunhild hat das ge¬
raten, und Hagen hat es gethan.“ Von dem Jammer¬
geschrei der Königin erwacht das ganze Haus; laute
Klage erschallt. Gunther und seine Brüder kommen
herbei; selbst Hagen wagt es, sich zu nahen. Wie er
aber an den Leichnam trat, da öffneten sich die Wunden,
und von neuem flofs das rote Blut auf den Estrich hinab.
Da brach Kriemhild in Thränen zusammen, aber Hagen
stand in grimmem Trotze ruhig da. Der greise Vater
Siegfrieds kam mit seinen Mannen und rief händeringend
Wehe über das ungastliche Haus und das verräterische
Fest. Mit Mühe nur konnte Kriemhild dem Gefolge
Einhalt thun, das mit gezückten Schwertern sofort Rache
nehmen wollte. Drei Tage und drei Nächte wurde die
Leiche im Münster ausgestellt. Kriemhild aber lag die
ganze Zeit über ohne Speise und Trank neben der
Bahre, aufgelöst in Gram und Schmerz. Als Siegfried
endlich bestattet war, rüstete sich König Siegmund
zur traurigen Heimfahrt; Kriemhild aber konnte sich
nicht entschliefsen, die Stätte zu verlassen, wo ihr Gatte
begraben lag. Still und zurückgezogen lebte sie ihrem
Schmerze, geduldig des Tages harrend, der ihren Rache¬
durst stillen sollte. Inzwischen spendete sie reichlich
von dem Nibelungenhort, den sie durch ihre Brüder
Gernot und Gieselher nach Worms schaffen liefs, und ge¬
wann sich dadurch viele Freunde. Darum drang Hagen