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Der Urzustand des deutschen Volkes.
Gelehrte Leute hört man sagen, daß alle ursprünglichen
Völker in ihrem Bildungsgänge drei Sttlfeu ihrer Ernährungs¬
weise durchzumachen gehabt haben: Zuerst als ein rauher Esau
die Jagd, dann wie der sanfte Laban das Hirtenleben
und zuletzt den Ackerbau mit dessen Töchtern, dem Gartenbau
und der Obstzucht. Der Ackerbau band an feste Wohnsitze und
ermöglichte ein geselliges Zusammenleben des ganzen Volkes.
Die ältesten Nachrichten über unsere Voreltern melden, daß
dieselben schon vor der christlichenZeitrechnuug auf die dritte Stufe
gelangt waren. Ohne Zweifel ist das deutsche Volk so alt wie
das römische, jedoch die Vereinzelung in unabhängige Völker¬
schaften ließ es nicht in politischer Macht hervortreten.
Möglich, ja wahrscheinlich ist es, daß in der Urzeit alle
Deutschen rechtsgleich waren. Zur Zeit aber, als die Römer
mit unserm Volk bekannt wurden, zerfiel es bereits in zwei
Klassen, in Freie und Unfreie, letztere auch Leibeigene oder
Schälke (8ervi, Knechte) genannt. Ein dritter Stand der Hörigen
oder Liten (Leute) scheint sich erst später ausgebildet zu haben.
Die Freien waren Adalinge, woraus der Fürstenstand ent¬
sproß, oder Gemeinfreie, der spätere Adel oder Junkerstaud.
Nur die Freien waren rechtsfähig uud rechtsgleich, der König
nur der erste in der Reihe. Jeder Freie schaltete unbeschränkt
aus seinem Eigen. Die Gesetze waren einfach und würdig, alle
Gerichtsverhandlungen öffentlich. An allem, was das Volk be¬
traf, nahm jeder teil. Die Würde der Frauen stand hoch. Das
Weib war des Mannes ebenbürtige Gefährtin. Durch gleiche
Sprache, gleiche hohe, starke Körperbildung, gleiche Sitten und
Neigungen vor andern Völkern ausgezeichnet, lebten die Deutschen
Fischer, Lesebuch für Sonntagsschulen rc. A ß