62 88. Kinderlieb von den grünen Sommervögeln.
Er eilte deshalb in die Stadt zu einem Brillenhändler. „Ich
möchte eine Brille kaufen," rief er diesen an. „O, damit
kann ich Euch dienen," versetzte der Brillenhändler; „sucht
Euch nur heraus! Da ist ein Buch; probieret, durch welche
Brille Ihr am besten lesen könnt!" Der Bauer setzt jede
Brille auf die Nase und guckt schmunzelnd durch; er wischt
an den Gläsern, dreht sie hin und her; aber umsonst, das
Lesen will nicht gehen. Endlich fing der Kaufmann an:
„Mein lieber Freund! wie mir scheint, könnt Ihr gar nicht
lesen." „Hm," erwiderte unser Bauer, „wenn ich lesen könnte,
dann brauchte ich keine Brille."
88. Kinderlieb von den grünen Sommervögeln.
1. Es kamen grüne Vögelein geflogen her vom Himmel
und setzten sich im Sonnenschein in fröhlichem Gewimmel
all' an des Baumes Äste und saßen da so feste, als ob sie
angewachsen sei'n.
2. Sie schaukelten in Lüften lau auf ihren schwanken
Zweigen; sie aßen Licht und tranken Tau und wollten auch
nicht schweigen; sie sangen leise, leise auf ihre stille Weise
von Sonnenschein und Himmelblau.
3. Wenn Wetternacht auf Wolken saß, so schwirrten
sie erschrocken; sie wurden von dem Regen naß und wurden
wieder trocken; die Tropfen rannen nieder vom grünenden
Gefieder, und desto grüner wurde das.
4. Da kam am Tag der scharfe Strahl, ihr grünes
Kleid zu sengen, und nächtlich kam der Frost einmal, mit
Reif es zu besprengen. Die armen Vöglein froren, ihr
Frohsinn war verloren, ihr grünes Kleid war bunt und fahl.
5. Da trat ein starker Mann zum Baum und hub
an, ihn zu schütteln, vom obern bis zum untern Raum mit
Schauern zu durchrütteln; die bunten Vöglein girrten und
aus einander schwirrten; wohin sie flogen, weiß man kaum.
Friedrich Rückert.