69. Die gottselige Großmutter.
63
89. Pie gottselige Großmutter.
1. Während des letzten Krieges gerieten die Bewohner
eines einsam stehenden Hauses in große Ängsten. Der
Feind nahte sich mit einbrechender Nacht der Gegend. Der
nächtliche Himmel erschien bald da, bald dort von Feuers¬
brünsten rot wie Blut. Man hörte furchtbar schießen.
Zudem war es Winter und das Wetter sehr kalt und
stürmisch. Die guten Leute fürchteten, ausgeplündert und
jetzt, zur rauhesten Jahreszeit, von Haus und Hof verjagt
zu werden.
2. Nur die alte, fromme Großmutter war getrost und
guten Mutes im Vertrauen auf Gott. Sie las ihren
Kindern und Enkeln aus ihrem alten Gebetbuche ein Gebet
vor, in dem die Worte vorkamen, Gott wolle eine feste
Mauer aufführen, um die Feinde von dieser Wohnung ab¬
zuhalten.
3. Einer ihrer Enkel, der andächtig zugehört hatte,
meinte jedoch, das Aufführen einer Mauer sei gar zu viel
von dem lieben Gott verlangt; um solche unmögliche Dinge
solle man nicht beten.
4. Die Großmutter sprach aber: „Diese Worte sind
nicht so buchstäblich zu nehmen. Sie sollen bloß sagen,
Gott wolle uns vor den Feinden so sicher beschützen, als
wäre unser Haus von einer Mauer umgeben. Wenn aber
Gott auch wirklich zu unserm Schutze eine Mauer bauen
wollte, meinst Du denn, daß es unmöglich sei?"
5. Indes ging die Nacht vorüber, ohne daß ein feind¬
licher Soldat sich ihrem Hause näherte. Alle im Hause
wunderten sich darüber. Als sie aber sich morgens vor
die Thüre wagten, sieh, da war gegen jene Seite hin, wo
die Feinde standen, der Schnee von dem Winde hoch wie
eine Mauer aufgetürmt, so daß man gar nicht hindurch¬
kommen konnte.
6. Alle lobten und priesen Gott. Die Großmutter
aber sagte: „Seht, so hat Gott doch eine Mauer aufge-