92. Das Posthorn.
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7. Sein Schloß von Lis liegt weit hinaus
Beim Nordpol an dem Strande;
Doch hat er auch ein Sommerhaus
Fm lieben Schweizerlande.
8. Da ist er denn bald dort bald hier,
Gut Regiment zu führen,
Und wenn er durchzieht, stehen wir
Und sehn ihn an und frieren.
Matthias Claudius.
92. Z>as Posthorn.
(Ein Märchen.)
1. Es war einmal ein sehr kalter Winter; da fuhr ein
Postillon auf dem Schwarzwalde in einem Hohlwege und
sah einen Wagen auf sich zukommen, nahm sein Horn und
wollte dem Fuhrmann ein Zeichen geben, daß er still halte
und ihn erst vorbeilasse; allein der Postillon mochte sich
anstrengen, wie er wollte, er konnte doch keinen einzigen Ton
aus dem Hörne hervorbringen. Deshalb kam der andere
Wagen immer tiefer in den Hohlweg hinein, und da keiner
von beiden mehr ausweichen konnte, so fuhr der Postillon
geradewegs über den andern Wagen hinweg. Damit aber
dergleichen Unbequemlichkeiten nicht noch einmal Vorkommen
möchten, so nahm er alsbald wieder sein Horn zur Hand
und blies alle Lieder hinein, die er nur wußte; denn er
meinte, das Horn sei zugefroren, und er wollte es durch
seinen warmen Atem wieder auftauen. Allein es half alles
nichts; es war so kalt, daß kein Ton wieder herauskam.
2. Endlich gegen Abend kam der Postillon in das Dorf,
wo ausgespannt wurde, und wo ein andrer Knecht ihn ab¬
löste. Da ließ er sich einen Schoppen Wein geben, um sich
zu erwärmen; weil aber in dem Wirtshause gerade eine
Hochzeit gefeiert wurde und die Stube von Gästen ganz
voll war, so begab er sich mit seinem Wein in die Küche,
setzte sich auf den warmen Feuerherd, hing sein Horn auf