93. Der alte Mantel.
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einen Nagel an die Wand und unterhielt sich mit der Köchin.
— Auf einmal aber erschrak er ordentlich, als das Post¬
horn von selbst zu blasen anfing; da blies es zuerst einige
Male das Zeichen, das die Postillone zuerst geben, wenn
jemand ausweichen soll; dann aber auch alle Lieder, die er
unterwegs hineingehaucht hatte, und die darin festgefroren
waren, und die jetzt an der warmen Wand alle nach einander
wieder auftauten und herauskamen.
93. Der alle Mantel.
1. Einige Soldaten kamen zur Zeit des Krieges in ein
Dorf und verlangten einen Wegweiser. Ein armer Tag¬
werker sollte mit ihnen gehen. Es war sehr kalt und schneite
und wehte entsetzlich. Er bat die Bauern flehentlich, ihm
einen Mantel zu leihen; allein sie gaben ihm kein Gehör.
Nur ein fremder, alter Mann, der durch den Krieg aus seiner
Heimat vertrieben worden war und in dem Dorfe sich küm¬
merlich als Schmiedeknecht nährte, erbarmte sich des Tag¬
werkers und gab ihm seinen alten Mantel.
2. Die Soldaten zogen fort, und sieh! am späten
Abend kam ein junger, schöner Offizier in prächtiger Uniform
und mit einem Ordenskreuze auf der Brust in das Dorf
geritten und ließ sich zu dem alten Manne führen, der dem
Wegweiser den Mantel geliehen hatte. Der gutherzige Greis
that, als er den Offizier erblickte, einen lauten Schrei: „O
Gott, das tft ja mein Sohn Rudolf!" rief er, eilte auf ihn
zu und umfaßte ihn mit beiden Armen.
3. Rudolf hatte vor mehreren Jahren Soldat werden
müssen und war wegen seiner vorzüglichen Geistesgaben,
wegen seiner Rechtschaffenheit und Tapferkeit Offizier gewor¬
den. Er hörte nichts mehr oon seinem Vater, der vormals
in einem angesehenen Marktflecken Schmiedemeister gewesen
war. Allein der Sohn hatte den alten Mantel erkannt
und aus der Erzählung des Wegweisers sich überzeugt, daß
sein Vater nunmehr in diesem Dorfe sich aufhalte.
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