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B. Aus der Geschichte des deutschen Volkes.
143. Erlaß Kaiser Wilhelms II. bei seiner Thronbesteigung.
An Mein Volk!
Eottes Ratschluß hat über Uns aufs neue die schmerzlichste Trauer
verhängt. Nachdem die Gruft über der sterblichen Hülle Meines unverge߬
lichen Herrn Großvaters sich kaum geschlossen hat. ist auch Meines heißge¬
liebten Herrn Vaters Majestät aus dieser Zeitlichkeit zum ewigen Frieden
abberufen worden. Die heldenmütige, aus christlicher Ergebung erwachsende
Thatkraft, mit der Lr Seinen königlichen Pflichten ungeachtet Seines Leidens
gerecht zu werden wußte, schien der Hoffnung Raum zu geben, daß Tr dem
vaterlande noch länger erhalten bleiben werde. Gott hat es anders be¬
schlossen. Dem königlichen Dulder, dessen Herz für alles Große und Schöne
schlug, sind nur wenige Monate beschieden gewesen, um auch auf dem Throne
die edlen Eigenschaften des Geistes und Herzens zu bethätigen, welche ihm
die Liebe Seines Volkes gewonnen haben. Der Tugenden, die Ihn schmückten,
der Siege, die Cr auf den Schlachtfeldern einst errungen hat, wird dankbar-
gedacht werden, solange deutsche Herzen schlagen, und unvergänglicher Ruhm
wird seine ritterliche Gestalt in der Geschichte des Vaterlandes verklären.
Auf den Thron Meiner Väter berufen, habe Ich die Regie¬
rung im Aufblick zu dem König aller Könige übernommen und
Gott gelobt, nach dem Leispiel Meiner Väter ein gerechter und
milder Fürst zu sein, Frömmigkeit und Gottesfurcht zu pfle¬
gen, den Frieden zu schirmen, die Wohlfahrt des Landes zu
fördern, den Armen und Bedrängten ein Helfer, dem Rechte
ein treuer Wächter zu fein.
Wenn Ich Gott um Kraft bitte, diese Königlichen Pflichten zu erfüllen,
die Sein Mille Mir auferlegt, so bin Ich dabei von dem vertrauen zum
preußischen Volke getragen, welches der Rückblick auf Unsre Geschichte Mir
gewährt.
In guten und in bösen Tagen hat Preußens Volk stets treu zu feinem
Könige gestanden; auf diese Treue, deren Land sich Meinen Vätern gegen¬
über in jeder schweren Zeit und Gefahr als unzerreißbar bewährt hat,
zähle auch Ich in dem Bewußtsein, daß Ich sie aus vollem Herzen erwidere,
als treuer Fürst eines treuen Volkes, beide gleich stark in der Hingebung
für das gemeinsame Vaterland.
Diesem Bewußtsein der Gegenseitigkeit der Liebe, welche Mich mit
Meinem Volke verbindet, entnehme Ich die Zuversicht, daß Gott Mir Kraft
und Weisheit verleihen werde, Meines Königlichen Amtes zum Heile des
Vaterlandes zu walten.
Potsdam, den 13. Juni 1883.
Wilhelm.