§. 423. Der nordische Krieg. 291 
der ihn verpflichtete, für sich und seine Nachkommen der polnischen Krone zu 
entsagen, sein Vündniß mit dem Zaar aufzulösen und den Livländer Patkul 
dem Schwedenkönig auszuliefern. Ohne seine Würde als russischen Gesandten 
zu beachten, ließ Karl denselben eines grausamen Todes auf dem Rade 
sterben. Trotz des abgeschlossenen Friedens blieb die feindliche Kriegsmacht 
noch ein ganzes Jahr in Sachsen zum großen Schaden des Landes, das neben 
der Einquartierung und Kriegssteuer auch noch durch die Verschwendung des 
Dresdener Hofes schwer zu leiden hatte. Während die Stände mit Seufzen 
die hohen Steuern genehmigten und der verarmte Bauer fast verhungerte, 
veranstaltete der Kurfürst ein prachtvolles Hoffest nach dem andern und ver¬ 
wendete ungeheuere Summen auf Lustschlösser. Und was kostete erst die Unter- 
Haltung und Versorgung der schönen Frauen und natürlichen Kinder des 
et lernten Fürsten! — Karl XII. bildete einen merkwürdigen Gegensatz zu 
ein genußsüchtigen und leichtfertigen Kurfürsten. Jener besaß eine voll- 
kommene Soldatennatur; seine Mäßigkeit ging so weit, daß er sich aller gei¬ 
stigen Getränke enthielt und im Felde mit der geringen Kost des Heeres sich 
begnügte; Sommer und Winter trug er dieselbe unzierliche Kleidung — einen 
langen, mit Messingknöpfen versehenen Soldatenrock und große Reiterstiefel; 
auf Märschen und im Kampf unterzog er sich den größten Beschwerden, 
Entbehrungen und Gefahren; weiblichen Umgang mied er; nur das Kriegs- 
leben mit feinen Gefahren hatte für ihn Reiz, das Getöse der Schlacht, das 
Pfeifen der Kugeln, das Wiehern der Streitrosse ging ihm über Opern, 
Hoffeste und Concerte. 
§. 4213. Während Karl XII. in Sachsen und Polen verweilte, traf Peter 
der Große Anstalten, die schwedischen Besitzungen an der Ostsee zu unter- 
werfen und dem russischen Reiche beizufügen. Er erbaute die Festungen 
Schlüsselburgund Kronstadt, ließ die morastigen Niederungen an der 
Netua mit unsäglicher Mühe durch Leibeigene austrocknen und legte den Grund 
zu der neuen Residenzstadt Petersburg. Aus Moskau und andern Städten nos. 
mußten Edelleute, Kaufleute und Handwerker mit ihren Familien dahin über- 
siedeln; auch Ausländer wurden zur Einwanderung aufgemuntert. Hätte 
Karl XII., als er endlich Sachsen verließ, um seine Waffen gegen seinen 
letzten und mächtigsten Feind zu kehren, die Ostseeländer zum Kriegsschauplatz 
gewählt, so konnten leicht Peters neue Schöpfungen und Pläne vernichtet 
werden, aber zu dessen Glück beschloß Karl auf Moskau loszurücken und 
in das Herz von Rußland zu dringen. Er nahm Grodno und Wilna weg, 
setzte im Juni über die Berezina und schlug den Weg nach Smolensk t708- 
ein. Kein russisches Heer bestand vor dem tollkühnen König, der an der 
Spitze seiner tapfern Truppen Flüsse durchwatete und weglose Morastgegenden 
überschritt. Jetzt aber trat ein Wendepunkt in Karls Leben ein. Statt seinen 
Feldherrn Löwen Haupt, der mit frischen Truppen und mit Kleidung und 
Nahrungsmitteln für das ermattete Heer auf dem Wege zu ihm war, abzu- 
warten, ließ er sich durch den alten Kosakenhetman Mazeppa zu einem 
beschwerlichen Marsch in die waldige und steppenreiche Ukraine bereden, 
^öwenhaupt, von der russischen Uebermacht angegriffen, vermochte trotz seines 
ausgezeichneten Feldherrntalents nur nach Aufopferung aller Artillerie, alles 
Gepäcks und aller Vorräthe mit einem geringen Heer den rastlos forteilenden 
^.nig zu erreichen. Auf die herbstlichen Regengüsse folgte ein äußerst strenger 1708_0 
hinter, während dessen viele der abgehärteten Krieger der Kälte erlagen, 
pausenden Hände uno Füße erstarrten. (Endlich schritt Karl zur Belagerung 
*>er festen Hauptstadt Pultäwa; aber bei d^iu Mangel au Geschütz zog sich 
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