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195. von den Babyloniern.
Ninive einen Glanz und eine Macht entwickelten, daß der Prophet Nahum
(3, 16 u. 17) von ihrer Herrlichkeit sagen konnte: „Du hast mehr Händler,
denn Sterne am Himmel sind. Deiner Herren ist soviel als der Heuschrecken,
und deiner Hauptleute als der Käfer, die sich an die Zäune lagern in den
kalten Tagen." Aber wahr ist auch geworden, was der Prophet Zephanja (2, 15)
von Ninive weissagt: „Das ist die fröhliche Stadt, die so sicher wohnete und
sprach in ihrem Herzen: Ich bin's und keine mehr. Wie ist sie so wüste
geworden, daß die Tiere darinnen wohnen! Und wer vorübergehet, pfeifet sie
an und klappet mit der Hand über sie."
Denn im Jahre 606 vor Chr. ging das assyrische Weltreich zu Grunde.
Der Statthalter von Babylon, Nabopolassar, empörte sich und eroberte und
zerstörte Ninive. Das alte Babel aber gelangte von neuem zu hoher Blüte,
namentlich seitdem Nabopolassars Sohn, der kluge und thatkräftige Nebukad-
nezar, den Thron bestiegen hatte (604 vor Chr.). Er unterwarf die zwischen
dem Euphrat und Ägypten gelegenen Länder, darunter auch das Königreich
Juda. Gegen den Rat der Propheten Jeremias und Hesekiel wagten die Juden
einen Aufstandsversuch; aber Nebukadnezar nahm nach einer mehrjährigen
Belagerung Jerusalem ein, zerstörte die Mauern, verbrannte den Tempel und
führte die vornehmsten und angesehensten Einwohner in die babylonische
Gefangenschaft (586 vor Chr.). Auch Phönizien bezwang der mächtige
König, und schon dachte er an eine Unterwerfung Ägyptens: da traf ihn die
Hand Gottes, damit die Menschen erkennen sollten, daß der Höchste Gewalt hat
über der Menschen Königreiche und giebt sie, wem er will (Daniel 4, 29).
Sieben Jahre lebte er in Wahnsinn; dann aber kam er wieder zur Vernunft
und zu königlichen Ehren und zu seiner Herrlichkeit.
Groß war der Glanz Babels unter diesem König. Um die Hauptstadt
gegen Einfälle der Nomadenvölker aus dem Norden zu schützen, ließ er 10 Mei¬
len oberhalb, wo Euphrat und Tigris sich in ihrem Laufe am meisten einander
nähern, eine starke Mauer von 6 in Dicke und 29m Höhe von einem Fluß bis
zum anderen bauen, die sog. modische Mauer. Auch stellte er den Turm
des Baal mit großer Pracht wieder her, und auf der Ostseite des Euphrat
erbaute er sich einen neuen Palast, dessen berühmtester Teil die sog. hängen¬
den Gärten wurden. Seiner Gemahlin nämlich zu Liebe legte er einen Bau
von 114 m ins Geviert an, der in Stufen oder Terrassen sich so hoch erhob,
daß die oberste Fläche die höchsten Türme der Burg überragte. Das Ganze
ruhte auf gemauerten Bogen; diese wurden zunächst mit Steinplatten bedeckt,
darüber ward Asphalt gegossen, dann folgten Gips - und Bleiplatten, und
auf diese endlich ward Gartenerde so hoch aufgeschüttet, daß sie für die Wurzeln
der stärksten Bäume ausreichte. Durch Pumpwerke, die bis in den Euphrat
reichten, ward für Bewässerung der Gärten gesorgt. Von diesen Terrassen aus,
wo eine kühlere und reinere Luft als unten wehte, konnte man die ganze unge¬
heure Stadt und bis in weite Ferne die fruchtbare Ebene überblicken; hict
konnte Nebukadnezar jenes stolze Wort sprechen, das ihm Daniel (4, 27) in
den Mund legt: „Das ist die große Babel, die ich mir zum Königssitz erbaut
habe, zum Zeichen meiner Herrlichkeit."
Auch eine Brücke über den Euphrat baute der König; das riesigste Werk
aber, das er vollführte, war ein ähnliches, wie der König Möris es in Ägyp-