Full text: [Teil 2 = Kl. 7] (Teil 2 = Kl. 7)

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sprach: „Sieh, diese Ähre hier, die sich so bescheiden neigte, ist voll der 
schönsten Körner; diese aber, die sich so stolz in die Höhe streckte, ist 
ganz taub und leer." 
60. Mütterliche Liebe eines Storches. 
Auf dem Strohdache eines alten, ehrwürdigen Bauernhauses, 
das von ebenso alten Leuten bewohnt wurde, erblickte man stets 
in den ersten Tagen des Frühjahrs ein Storchenpaar. Sie saßen 
da und klapperten, gleichsam als begrüßten sie den alten, lieben Ort, 
wo sie so manches Störchlein aufgezogen hatten. Die Kinder des 
Dorfes sangen alsdann: 
„Hurra, hurra, hurra! 
Der Storch ist wieder da; 
er bessert aus sein Nestelein 
und legt vier große Eier drein, 
und eh’ wir’s uns versehen, 
im Nest vier Störchlein stehen, 
und alle rufen: Klapp, klapp, klapp! 
Mama, gib einen Frosch uns ab!“ 
An einem schwülen Sommertage war das ganze Dorf auf 
dem Felde, um Getreide zu mähen, und nur die wachsamen Hunde 
schlichen um die Wohnungen. Da erscholl auf einmal vom hohen 
Kirchturme herab der dumpfe Ton der Sturmglocke, und das Feuer¬ 
horn verkündete durch seine dumpfen Stöße den beschäftigten 
Landleuten die Gefahr. „Feuer! Feuer!“ ertönte es bald allerorten, 
und in allen Gassen sah man die Dorfbewohner rennen. Ach, 
dasselbe Haus, das man nach altem Aberglauben für bewahrt und 
beglückt hielt wegen der darauf nistenden Störche, das stand jetzt 
in hellen Flammen. Schon stürzen die Balken ein, und kaum 
rettet man das Eigentum der schwer betroffenen Bewohner. 
Auf einmal sieht man eine Störchin von der Wiese herüber¬ 
fliegen. Es ist die Mutter der Kleinen, die auch schon in ihrem 
Neste von Feuersglut und Rauchwolken umgeben sind. Mehrere 
Male kreist sie ängstlich um die Qualm- und Glutmassen. Endlich 
durchdringt sie diese, und bald darauf erscheint sie, ein Junges im 
Schnabel, und legt es am Fuße eines Baumes nahe bei den 
rettenden Leuten nieder. 
Dann erhebt sie sich wieder, dringt von neuem in die Glut 
und kommt abermals, ihr zweites Kindlein im Schnabel, mit ver¬
	        
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