fullscreen: Haus und Vaterland II (Band 5)

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Belustigungsort der Wiener. Viel Volks strömte hinaus, und jung 
und alt, vornehm und gering freute sich dort seines Lebens; auch 
viele Fremde kamen, die sich an der Volkslust ergötzten. Wo 
fröhliche Menschen sind, da hat auch der etwas zu hoffen, der an 
die Barmherzigkeit seiner glücklicheren Mitmenschen gewiesen ist. 
So waren denn hier eine Menge Bettler, Orgelmänner, Harfenmäd- 
chen, die sich ihren Kreuzer zu verdienen suchten. 
In Wien lebte damals ein Invalide, dem seine kleine Pension 
zum Unterhalt nicht ausreichte. Betteln mochte er nicht. Er griff 
daher zur Violine, die er von seinem Vater erlernt hatte, der 
ein Böhme gewesen war. Er spielte unter einem alten Baum 
im Prater, und seinen treuen Pudel hatte er so abgerichtet, dab er 
vor ihm sab und den alten Hut im Maule hielt, in den die Leute 
ihre Pfennige oder Kreuzer warfen. Heute stand er auch da und 
fiedelte, und der Pudel sab vor ihm mit dem Hute wie immer; 
aber die Leute gingen vorüber, und der Hut blieb leer. Hätten 
ihn die Leute nur einmal angesehen, sie hätten Barmherzigkeit 
mit ihm haben müssen. Dünnes weibes Haar deckte kaum seinen 
Schädel; ein alter, fadenscheiniger Soldatenmantel war sein Kleid. 
Gar manche Schlacht hatte er mitgekämpft, und fast jede hatte 
ihm in einer Narbe einen Denbzettel angehängt, bei dem für das 
Verlieren keine Sorge nötig war. Nur drei Finger an der rechten 
Hand hielten den Bogen. Eine Kartätschenkugel hatte die zwei 
andern bei Aspern mitgenommen, und fast zu gleicher Zeit nahm 
ihm eine gröhere Kugel das Bein weg. Und doch sahen heute die 
fröhlichen Leute nicht auf ihn, und er hatte doch für den letzten 
Kreuzer Saiten auf seine Violine gekauft und spielte seine alten 
Märsche und Tänze mit aller Kraft. Trübe und traurig sah der 
alto Mann auf die wogende Menschenmasse, auf die fröhlichen 
Gesichter, auf die stolze Pracht ihres Putzes. Bei ihrem Lachen 
drang ein Stachel in seine Seele — heute abend mubte er hungern 
auf seinem Strohlager im Dachstübehen. Sein Pudel war in der 
Tat besser daran; er fand doch vielleicht auf dem Heimweg unter 
einem Gossenstein einen Knochen, an dem er seinen Hunger 
stillen konnte. 
Schon war's ziemlich spät am Nachmittag, und seine Hoffnung 
war so nahe am Untergang wie die Sonne; denn schon kehrten 
Ernst, Deutsches Lesebuch für Mädchenschulen. O V. 
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