Full text: Preußisch-deutsche Geschichte vom Jahrhundert Friedrichs des Großen bis zur Gegenwart (Teil 3)

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weshalb er auá) später von ihr getrennt lebte, hat sie aber doch stets geehrt. 
Er selbst tat nach dreijähriger Ehe folgende Äußerung über seine Gemahlin: 
„Ich war nie in sie verliebt, aber ich müßte der letzte aller Menschen sein, 
wenn ich sie nicht aufrichtig schätzen wollte; denn sie ist von sehr sanftem Ge¬ 
müt, fügsam im höchsten Maße und derart gefällig, daß sie tut, was sie mir 
nur an den Augen absehen kann, um mir Freude zu machen." Später schenkte 
ihm der Vater das Schloß Rheinsberg bei Neu-Ruppin, wo der Kronprinz 
seine eigene Hofhaltung führte und im Kreise geistvoller Freunde, die gleich 
ihni Musik, Literatur, Witz und feine Unterhaltung liebten, seine glücklichsten 
Tage verlebte. Er musizierte, spielte meisterhaft Flöte, versenkte sich in die 
Werke der Dichter, besonders der französischen, versuchte sich selber als Schrift¬ 
steller, knüpfte mit berühmten Männern einen lebhaften Briefwechsel an, 
studierte besonders eifrig auch die Kriegswissenschaft und die Verwaltung des 
Landes, übte mit seinem Regiment Soldaten in Neu-Ruppin und erfreute den 
König durch Zusendung langer Kerls. So bereitete er sich würdig auf seinen 
künftigen schweren Beruf vor. Immer mehr lernte der König den Wert des 
Sohnes schätzen, und immer besser wurde das Verhältnis zwischen beiden. 
Als der König, dem Tode nahe, auf seinem Krankenbette lag, umarmte er den 
Kronprinzen und rief mit Tränen in den Augen: „Mein Gott, ich sterbe zu¬ 
frieden, da ich einen so würdigen Sohn und Nachfolger hinterlasse!" 
6. Vertiefung. 
1. Friedrichs Erziehung durch seinen Vater ist eine überaus harte, ja 
rauhe; schon von frühster Jugend auf muß sein weiches, der Liebe und 
Freundschaft bedürftiges Herz unter den heftigen Ausbrüchen des väterlichen 
Jähzorns leiden. Der harte Vater übt keine Rücksicht, kennt in seinem Jäh¬ 
zorn keine Grenzen, ist ein rechter Haustyrann, so daß Frau und Kinder oft 
schwer zu leiden haben. Bei jeder Gelegenheit zankt er den Sohn aus, schlügt 
nach ihm in Gegenwart anderer, beleidigt ihn, verletzt Stolz und Ehrgefühl, 
spottet über seinen Mangel an Mut und Ehre, so daß er ihn schließlich zu 
einem verzweifelten Schritte, zur Flucht, treibt. Hier muß der Vater erfahren: 
„Zu weit getrieben, verfehlt die Strenge ihres weisen Zwecks, und allzustraff 
gespannt, zerspringt der Bogen," und auch die andere Wahrheit: „Allzu scharf 
macht schartig." Diese übertriebene Grausamkeit und Härte der Erziehung 
ist verwerflich. 
Freilich vergreift sich der König nur in ben Mitteln der Erziehung; er 
hat die besten Absichten, die edelsten Beweggründe. Er liebt 
seine Familie, freilich in seiner derben Weise. Aus Liebe erzieht er seinen 
Sohn so streng, um aus ihm einen tüchtigen Regenten zu machen. Er befolgt 
dabei nur die Wahrheit: „Wer sein Kind lieb hat, der züchtigt es" — „Je lieber 
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