Full text: [Teil 1 = Kl. 8 u. 7] (Teil 1 = Kl. 8 u. 7)

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bösen Spruch nicht aufheben, sondern nur ihn mildern konnte, so sagte 
sie: „Es sott aber kein Tod sein, sondern ein hundertjähriger Schlaf, in 
den die Königstochter fällt." 
2. Wie die Königstochter in einen hundertjährigen Schlaf fiel. 
5 Der König, der sein liebes Kind vor dem Unglück gern bewahren 
wollte, ließ den Befehl ausgehen, daß alle Spindeln im ganzen König¬ 
reich sollten verbrannt werden. An den: Mädchen aber wurden die Gaben 
der weisen Frauen sämtlich 
erfüllt,- denn es war so schön, 
sittsam, freundlich und ver¬ 
ständig, daß es jedermann, 
der es ansah, lieb haben 
mußte. Es geschah, daß an 
dem Tage, wo es gerade 
fünfzehn Jahre alt ward, 
der König und die Königin 
nicht Zu Haus waren und 
das Mädchen ganz allein im 
Schlosse zurückblieb. Da ging 
es allerorten herum, besah 
Stuben und Kammern, wie 
es Lust hatte, und kam end¬ 
lich auch an einen alten Turm. 
Es stieg die enge Wendel¬ 
treppe hinauf und gelangte zu 
einer kleinen Tür. In dem 
Schlosse steckte ein verrosteter 
Schlüssel, und als es umdrehte, sprang die Tür auf, und saß da in 
einem kleinen Stübchen eine alte Frau mit einer Spindel und spann emsig 
30 ihren Flachs. „Guten Tag, du altes Mütterchen," sprach die Königstochter, 
„was machst du da?" „Ich spinne," sagte die Alte und nickte mit dem 
Kopfe. „Was ist das für ein Ding, das so lustig herumspringt?" sprach 
das Mädchen, nahm die Spindel und wollte auch spinnen. Kaum hatte 
sie aber die Spindel angerührt, so ging der Zauberspruch in Erfüllung, 
35 und sie stach sich damit in den Finger. 
In dem Augenblick aber, wo sie den Stich empfand, siel sie auf 
das Bett nieder, das da stand, und lag in einem tiefen Schlafe. Und 
dieser Schlaf verbreitete sich über das ganze Schloß: der König und die 
Königin, die eben heim gekommen waren und in den Saal getreten
	        
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