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IV. Aus der unbelebten Natur.
1. Das „Leben" im Gestein.
Schon Jahrtausende holt der Mensch aus dem Schoße der Erde die
Waffen und Rüstungen zum Kriege, wie die Marmorblöcke und Sandsteine
zu Denkmälern des Friedens, das Salz zum Würzen der Speisen, wie das
Feuerungsmaterial zum Schmelzen der Erze. Schon Jahrtausende steigt der
Mensch in die Fluten des Meeres und gräbt sich in die Felsen der Erde,
um die verborgenen Schätze an das Licht des Tages zu fördern. Dampf¬
maschinen und Wasserräder, Wind und Feuer hat er zu Gehilfen mit hinab¬
genommen in die Tiefe. Aber so viele Jahre die unterirdischen Schatz¬
kammern auch schon ausgebeutet werden, ihr Reichtum ist unabsehbar, der
Segen der Erde unerschöpflich.
Das starre Gestein erzählt auch die Majestät Gottes, und die Wunder
in der Erde find eben so mannigfaltig als auf ihr. Unbegreifliche Natur¬
gewalten formten in dunklen Werkstätten die Krystalle, formten das Salz
zum Würfel, den Quarz zur sechsseitigen Pyramide, stumpften an dem
einen Krystallkörper die Ecken ab, an einem andern die Kanten, und konnten
sie ungestört wirken, dann setzten sie mit einer Genauigkeit die Flächen zu¬
sammen, als hätten sie Zirkel und Winkelmaß gebraucht, glätteten mit
einer Sauberkeit jede Seite, als sei eine Schleifmaschine dabei thätig ge¬
wesen, verliehen dem Ganzen einen Glanz, den der geschickteste Künstler nicht
nachzuahmen vermag. Und der Stein, über den unser Fuß 'dahingeht, er
hat auch sein Leben. Zwar pulsiert in ihm kein Herz und kreist in ihm
kein Nahrungsstoff, aber in jedem Augenblicke kettet eine geheimnisvolle
Kraft ein Atom desselben an das andere, daß er nicht in Staub zerfällt,
in jedem Augenblicke strebt wieder eine andere Kraft dieser entgegen, damit
sie nicht das Übergewicht bekommt. Wie die Zieh- und Fliehkräfte in dem
großen Weltenraume die Himmelskörper in ihrem Gleise erhalten, so
kämpfen verwandte Kräfte unaufhörlich in leisen, unmerklichen Schwin¬
gungen auch in dem starren Steine, mag er es zur Krystallform gebracht
haben oder nicht, um ihm seine Gestalt zu erhalten.
Aber nicht nur hartes Gestein ist in der Erde verborgen, es liegt
auch eine ganze Tier- und Pflanzenwelt in ihr vergraben, und der geöffnete
Mund der Erde erzählt von einer untergegangenen Schöpfung, die kein
Auge gesehen. Da liegen in hartem Gestein eingebettet: schwimmende und
fliegende Eidechsen von abenteuerlicher Gestalt, kletternde und grabende
Faultiere von Schrecken erregender Größe, riesige Elefanten mit gewaltigen