Full text: Haus und Welt (Bd. 3)

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die in wenigen Stunden sich bilden und dem Wanderer beson¬ 
ders dann sehr gefährlich werden, wenn frischgefallener Schnee 
sie bedeckt und eine trügerische Brücke über sie wirft. Aus 
den Eisspalten brechen häufig eiskalte Luftströme hervor, welche 
feine Eiskörner mit sich führen und wie Schneegestöber um sich 
her verbreiten; dies nennt man das Gletschergebläse. Die 
Gletscher sind gewöhnlich in einer beständigen Zunahme be¬ 
griffen; sie nehmen zu, sowohl an Dicke und Höhe, als an Aus¬ 
dehnung, indem sie weiter in die Thäler sich hinabsenken, bis 
sie einmal wieder in sehr heissen Sommern auf einige Zeit 
zurückgedrängt werden. Sie bedecken alle Bergabhänge und 
Thäler der höheren Alpen; man zählt ihrer über 400; manche 
darunter sind 10 km lang und 2—4 km breit. Sie werden mü¬ 
dem unvorsichtigen Reisenden oder dem allzu kühnen Jäger ge¬ 
fährlich. 
Grösser ist die Gefahr, welche vielen Einwohnern der 
Schweiz und jedem im Hochgebirge Reisenden von den Lawi¬ 
nen droht. Damit bezeichnet man Schnee- oder Eismassen, 
welche von den Hochgebirgen in die Tiefe stürzen und oft so¬ 
wohl durch unmittelbare Gewalt, als durch den Luftdruck grosse 
Verheerungen anrichten, Ströme verstopfen, Häuser und Wälder 
fortreifsen und Menschen und Tiere durch Ersticken töten. Sie 
entstehen, wenn bei tiefem Schnee gelinde Witterung eintritt, 
so dass die ungeheuren Massen ins Rutschen kommen, was vor¬ 
züglich im Frühling und Sommer der Fall ist. 
Einer der grössten Unglückstage, die der Schweiz durch 
Lawinenstürze bereitet worden sind, war der 12. Dezember 1809. 
Die Schweizer, mit der Natur der Alpen wohl vertraut, sahen 
dies schreckliche Verderben voraus. Denn auf allen Bergen 
hatte ein frischgefallener, tiefer Schnee gelegen, und darauf war 
am 12. Dezember Tauwind und Sturm gefolgt. Da dachte nun 
jedermann schon an ein grosses Unglück. Wer sich und seine 
Wohnung für sicher hielt, schwebte in Betrübnis und Angst für 
die Armen, die es treffen würde; und wer sich ohne Rettung 
wusste, sagte zu seinen Kindern: „Morgen geht uns die Sonne 
nicht mehr auf; bereitet euch zu euerm Ende, betet und befehlt 
dem Herrn über Leben und Tod eure Seele!“ — Da rissen sich 
auf einmal und aller Orten von den Kuppen der höchsten Berge 
die Lawinen los, stürzten mit entsetzlichem Tosen und Krachen
	        
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