Die Wasjerspinne.*) 
Dr. E.: Diesmal will ich von einer Wohnung, einem Schlupswinsel erzählen, 
der sowohl in bezug aus seinen Bau, wie namentlich in bezug aus den Ort, wo 
er sich findet, etwas ungemein Überraschendes hat. 
Kurt: Da bin ich doch wirklich neugierigI 
Dr. E.: Es handelt sich um eine Spinne, welche ihre Wohnung im 
Wasser baut. 
Fritz: Im Wasser? Aber die Spinnen sind ja lustatmende Tiere! Wenn 
man eine Spinne ins Wasser wirft, wird sie doch bald untergehen und ertrinken. 
Dr. E.: Ganz richtig. Diese Art aber, die Wasserspinne, besitzt ein 
Mittel, ohne Schaden lange unter Wasser aushalten zu können. Sie tragt nämlich 
einen grauen, seidigen Haarpelz, der so dicht ist, daß die Luft in deinselben Hänger, 
bleibt. Wirft man eine solche Spinne ins Wasser, so erscheint ihr Hinterleib von 
der anhängenden Luft wie eine silberglänzende Kugel, und diese Luft liefert ihr 
denn auch unter Wasser den nötigen Sauerstoff zuni Atmen. 
Kurt: Aber wie sieht denn das Nest aus? Das muß doch ungemütlich 
sein, wenn sie darin immer ganz im Wasser sitzt. 
Dr. E.: O das tut sie auch nicht; sie sitzt unter Wasser ganz im Trockenen. 
Fritz: Jetzt machst du wohl Scherz, Vater! 
Dr. E.: Nein, mein Sohn, keineswegs. Die Spinne baut unter Wasser 
ein Nest in Form einer Glocke oder eines unten offenen Fingerhutes, das sie an 
Wasserpflanzen durch Fäden befestigt. Tann kriecht sie hinein und streift mit 
den Beinen die Luft von ihrem Hinterleib, die nun als Luftblase zur Wölbung 
der Glocke emporsteigt, aber von dem dichten Gewebe hier aufgehalten wird. 
Alsbald wird neuer Luftvorrat von oben geholt, und mit dem Eintragen des¬ 
selben in das Nest so lange fortgefahren, bis es voll ist. Die Spinne und ihre 
Brut, die sie darin untergebracht hat, wohnt so mitten im Wasser in einem 
trockenen Palast, ganz ähnlich, wie es in unsern Märchen von den Nixen und 
Wassermännern beschrieben wird. 
Fritz: Das muß ja allerliebst aussehenI — Kümmern sich denn aber die 
Spinnen überhaupt um ihre Jungen? Ich habe doch immer gehört, daß die 
Spinnen sich auffressen, wenn sie sich zu nahe kommen. 
Dr. E.: Das letztere ist wohl richtig, obgleich es auch Spinnen gibt, die ge¬ 
sellig beieinander leben. Allein in bezug auf Mutterliebe kann die Spinne es 
mit jedem anderen Tiere und auch mit dem Menschen aufnehmen. 
*) Wie mannigfaltig ist doch die Natur! So wirst Du beim Lesen des Vorstehenden gedacht 
haben — Spinnen unter Wasser in einem richtigen selbstgebauten Luftschlosse — das sind doch recht 
interestante Beobachtungen, nicht wahr? Es ist ein lehrreiches Buch, dem die oben abgedruckte 
Probe entnommen ist, darinnen ist vieles zu erfahren nicht allein über die Spinne, sondern auch 
über die Stubenfliege, den Regenwurm, das Vogclleben im Frühling, die Wasterpflanze usw. wird 
darinnen erzählt. Wünsche Dir das Buch von Deinen Eltern, ihr werdet beide Freude daran haben. 
Der genaue Titel lautet: 
Karl Kraepelin, Nalnrstndien (Volksausgabe). 
Ein Buch für die Jugend. 
Aus des Verfassers „Naturstudien im Hause", „im Garten" und „in Wald und 
Feld" ausgewählt vom Hamburger Jugendschriftenausschuß. 
Mit Zeichnungen von O. Schwindrazheim. gebunden Ji 1 — 
(Verlag von B. G. Teubuer in Leipzig und Berlin.)
	        
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