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105. Die Diakonissenanstalt zu Kaiserswerth am Rhein.
(Nach den Berichten der Anstalt.)
Das Städtchen Kaiserswerth, unterhalb Düsseldorf am Rhein belegen,
war vor hundert Jahren säst nur von Katholiken bewohnt, unter denen
sich nur ganz wenige Evangelische befanden. 1778 hielten diese in einer
Stube eines Bürgerhauses ihren ersten Gottesdienst. Allmählich wurden
ihrer mehrere, sie brachten etwas Geld ans, liehen anderes dazu, erbauten
sich ein Kirchlein und erhielten eineil Geistlichen. Da machte im Jahre
1822 gerade der Kaufmann Bankerott, der die größte Summe, 1500
Mark, auf die Kirche dargeliehen hatte. Die Gemeinde konnte diese
Schuld nicht bezahlen, darum sollte ihr Kirchlein gerichtlich versteigert
werden. Alle Welt meinte, der kleinen Gemeinde sei nicht zu helfen, es
sei auch wegen ihrer Kleinheit und Armut nicht viel daran gelegen, ob
sie lebe oder sterbe. Nun hatte aber die Gemeinde kaum vier Wochen
vorher einen neuen Pfarrer erhalten, den jungen, erst 22jährigen Theodor
Fliedner. Die geistliche Behörde bot ihm zwei andere Pfarrstellen an.
Aber er konnte das Sterbell seiner Gemeinde nicht mit ansehen. Er
durchzog die Rheinlande, Holland und England und sammelte Geld für
seine Gemeinde und Kirche. So blieb dieselbe erhalten.
Aber indem er so im Glauben und in der Liebe gestärkt wurde,
ward er für noch Größeres vorbereitet. Durch ihn ist der evangelischen
Kirche das lange vergessene und verlorene Amt der Diakonissen wieder
geschenkt worden. Die Kirche bedarf neben dem Predigtamte solcher
Leute, die dem Herrn an den Kranken und Armen dienen, wie sich das
schon in der ältesten Christengemeinde zu Jerusalem gezeigt hat
(Apostelgeschichte 6). Dabei wird man für die Pflege der Kranken und
der Kinder niemals die Dienste der Frauen entbehren können, die dazu
ganz eigentlich berufen sind und ihre besonderen Gaben dafür empfangen
haben. Hierin haben die Nonnen und Ordensschwestern der katholischen
Kirche im stillen Großes geleistet und leisten es noch. Nun kann die
evangelische Kirche Nonnen Glicht haben. Aber sie bedarf dienender Frauen,
d. h. eben Diakonissen, die diese Dienste leisten ohne Ordensgelübde in
evangelischer Freiheit, und diese Einrichtung ist durch Pastor Fliedner
in Kaiserswerth ins Leben gerufen worden.
Ans seinen Reisen in Holland und England hatte er von Werken
christlicher Barmherzigkeit mehr gesehen, als es deren damals in Deutsch¬
land gab. Das Pfarramt an seiner kleinen Gemeinde ließ ihm auch
freie Zeit, nach jedem einzelnen zu sehen und zu bemerken, wo es mangelte.