86 
man möchte doch um Gottes willen was hinein legen, sonst wär’s 
am End’ — so einer ging allemal getröstet und beschenkt von Ober¬ 
lins Hausthür hinweg. Wenn aber einer kam in den kräftigen Jahren, 
von gesunden Gliedern und mit starken Knochen, und klopfte mit 
dem Bettelstock an die Thür, dann fragte ihn der Oberlin: ,,Lieber 
Freund, warum arbeitest du nicht?“ Und so der Bettelsack die Antwort 
gab: ,,Ich finde nicht Arbeit,“ wusste Oberlin alsbald Bat und er¬ 
widerte: „Herein, mein Lieber, du sollst haben; drin im Hofe liegt 
ein Häuflein Steine, pack frisch zu und trag sie weg an den Ort, 
welchen ich dir zeigen will! Alsdann sollst du Lohn haben.“ 
Aber siehe, am öftesten, wenn er noch nicht fertig war mit 
dieser Bede, machten die faulen Bettelsäcke kehrt und zogen ab mit 
verdriesslichem Gesichte, weil man sich beim Steintragen bücken muss, 
und das wird einem sauer. Und sie liessen sich fürder nicht mehr 
im Steinthal sehen. Nur wenige liessen sich bereit finden, im Schweifse 
ihres Angesichts ein Almosen zu verdienen. 
Nun versteh: Die Steine in Oberlins Hof sind Probiersteine ge¬ 
wesen, daran sich sollte die Arbeitslust oder Arbeitsscheu der Bettler 
ans Licht stellen. Und sie wurden auch für viele Faulenzer und 
Bettler von Profession Steine des Anstosses und ihrer eigenen Schande, 
für etliche aber auch Edelsteine; denn ein verdienter Lohn hat 
einen edlen Wohlgeschmack und reizt das Herz, um weiter zu suchen 
und zu sinnen, wo und wie sich fürderhin — nicht auf Bettelfahrten, 
sondern auf ehrlichen Wegen fleifsiger Arbeit ein Stücklein Brot ver¬ 
dienen lasse. 
Für dich aber, mein lieber Mensch, sollen es Gedenksteine sein, 
dass du die leibeskräftigen Bettler nicht noch in ihrer Sünde unter¬ 
stützest, sondern darauf sinnest, wie sie das Almosen, das du für sie 
übrig hast, dir durch Arbeit verdienen. Denn das ist das allerbravste 
und frommste Almosen, wenn man einen Menschen von seiner Faul¬ 
heit erlöst. Wer aber nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen. 
— Ich meine nun nicht, du müssest etwas gewinnen durch solche 
Arbeit des Bettlers, sondern er soll den Gewinn haben darin, dass 
er dir, seinem Wohlthäter, etwas thut. 
Und wenn’s im Sprichwort heisst: Ein Arbeiter ist seines Lohnes 
wert, — so kehr' ich’s jetzt um, und dann kommt der goldne Satz 
heraus: Ein Lohn ist seiner Arbeit wert. — Der Spruch muss der 
faulen Bettelei den Hals brechen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.