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man möchte doch um Gottes willen was hinein legen, sonst wär’s
am End’ — so einer ging allemal getröstet und beschenkt von Ober¬
lins Hausthür hinweg. Wenn aber einer kam in den kräftigen Jahren,
von gesunden Gliedern und mit starken Knochen, und klopfte mit
dem Bettelstock an die Thür, dann fragte ihn der Oberlin: ,,Lieber
Freund, warum arbeitest du nicht?“ Und so der Bettelsack die Antwort
gab: ,,Ich finde nicht Arbeit,“ wusste Oberlin alsbald Bat und er¬
widerte: „Herein, mein Lieber, du sollst haben; drin im Hofe liegt
ein Häuflein Steine, pack frisch zu und trag sie weg an den Ort,
welchen ich dir zeigen will! Alsdann sollst du Lohn haben.“
Aber siehe, am öftesten, wenn er noch nicht fertig war mit
dieser Bede, machten die faulen Bettelsäcke kehrt und zogen ab mit
verdriesslichem Gesichte, weil man sich beim Steintragen bücken muss,
und das wird einem sauer. Und sie liessen sich fürder nicht mehr
im Steinthal sehen. Nur wenige liessen sich bereit finden, im Schweifse
ihres Angesichts ein Almosen zu verdienen.
Nun versteh: Die Steine in Oberlins Hof sind Probiersteine ge¬
wesen, daran sich sollte die Arbeitslust oder Arbeitsscheu der Bettler
ans Licht stellen. Und sie wurden auch für viele Faulenzer und
Bettler von Profession Steine des Anstosses und ihrer eigenen Schande,
für etliche aber auch Edelsteine; denn ein verdienter Lohn hat
einen edlen Wohlgeschmack und reizt das Herz, um weiter zu suchen
und zu sinnen, wo und wie sich fürderhin — nicht auf Bettelfahrten,
sondern auf ehrlichen Wegen fleifsiger Arbeit ein Stücklein Brot ver¬
dienen lasse.
Für dich aber, mein lieber Mensch, sollen es Gedenksteine sein,
dass du die leibeskräftigen Bettler nicht noch in ihrer Sünde unter¬
stützest, sondern darauf sinnest, wie sie das Almosen, das du für sie
übrig hast, dir durch Arbeit verdienen. Denn das ist das allerbravste
und frommste Almosen, wenn man einen Menschen von seiner Faul¬
heit erlöst. Wer aber nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen.
— Ich meine nun nicht, du müssest etwas gewinnen durch solche
Arbeit des Bettlers, sondern er soll den Gewinn haben darin, dass
er dir, seinem Wohlthäter, etwas thut.
Und wenn’s im Sprichwort heisst: Ein Arbeiter ist seines Lohnes
wert, — so kehr' ich’s jetzt um, und dann kommt der goldne Satz
heraus: Ein Lohn ist seiner Arbeit wert. — Der Spruch muss der
faulen Bettelei den Hals brechen.