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176. Ich bin der Jüngere.
Julius Lohmeyers Deutsche Jugend. Neue Folge. 6. Band. Berlin o. J. S. 26.
u der Kaiserparade, die in den Septembertagen des Jahres 1885
in WVũürttemberg stattfand, waren natürlich die Landleute von
nah und fern gekommen. Alt und jung wollte so gern das An-
gesicht des geliebten kaiserlichen Herrn sehen. Unter diesen Ge-
treuen befand sich auch ein Veteran von dreiundneunzig Jahren,
der sich einsst in den Freiheitskriegen das Eiserne Kreuz erkämpft
hatte. Auch er wollte seinen obersten Kriegsherrn sehen.
Getreue Freunde hoben ihn auf einen Vagen, und nun ging
es vorwärts. Auch der Kaiser kam im Wagen gefahren, und sein
Auge erblickte den Mann, der das Kreuz aus den Befreiungskriegen
trug. Er lieb halten, und unser Veteran wollte nun, so schnell als
seine alten Glieder erlaubten, aus seinem VWagen steigen, um seinen
Kaiser zu begrüßben. Der aber rief ihm zu: „Bleiben Sie sitzen!
lch bin der Jüngere und kann zu lhnen kommen.“ Das sprach
der achtundachtzigjährige Deutsche Kaiser. Und er tat es auch,
stieg aus und ging zu dem Manne, der voll Freude, Ehrfurcht
und Staunen in die VWorte ausbrach: „Nun ist das Mabß meines
Lebens voll, da ich meinen Kaiser gesehen habe.“ Der aber winkte
ab und meinte, das sei noch lange nicht nötig, obgleich sie beide
unter den vielen Tausenden hier wohl die einzigen seien, die das
Eiserne Kreuz von 1813 trügen. „Allerdings,“ fügte Kaiser Wilhelm
hinzu, indem er dem Alten herzlich die Hand schüttelte, „werden
wir uns wohl auf Erden nicht wiedersehen.“
177. Raiser friedrich und die deutsche Jugend.
von Hhermann Müller Bohn.
Die Landjugend. Herausg. von Heinrich Sohnrey. 1. Jahrg. Berlin 1896. 8. 66.
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De edle Herz des unvergeßlichen Kaisers Friedrich hat der Jugend
immer warm entgegengeschlagen, die Kinderwelt mit ihrer Unschuld
und Fröhlichkeit hat ihn immer entzückt. Er konnte kein Kind sehen,
ohne es anzulächeln, ohne ihm die Wangen zu streicheln, ohne ihm ein
paar liebe Worte zu sagen. Wie er selber ein wahrhaft kindliches
Gemüt besaß, so verstand er es auch wie selten einer, in den Kinder—
herzen zu lesen. Deshalb war er aber auch der Abgott der deutschen
Kinderwelt; deshalb jubelten ihm ihre Herzen zu, sobald er sich nur
sehen ließ. Nie hat ein Fürst der Jugend so nahe gestanden wie er;
nie hat irgendeine andere fürstliche Persönlichkeit — ausgenommen die