Hans Sachs.
1494- 1576.
«r war eines Schneiders Sohn. In seiner Vaterstadt Nürnberg besuchte er die
Lateinschule. - Dann trat er in die Schuhmacherlehre. Nach Ablauf der Lehr¬
zeit begab er sich auf die Wanderschaft, die fünf Jahre dauerte. Fast alle Land¬
schaften Deutschlands lernte er kennen. Nicht immer führte er Ahle und Pfriemen,-
eine Zeitlang war er Weidmann am Hofe des Kaisers Maximilian. In München und
Innsbruck erlernte er den Meistergesang. Auf seinen weiten Wanderungen bereicherte
er seinen Schatz von Liedern durch immer neue „Töne".
Nach seiner Rückkehr ward er Meister, gründete einen Hausstand und lebte
vierzig Jahre lang in glücklicher Ehe. Dann starb ihm seine Frau,- auch seine
sieben Kinder sah er ins Grab sinken. In hohem Alter verheiratete er sich zum
zweitenmal. Diese Ehe brachte ihm einen heiteren Lebensabend.
Hans Sachs sagt von sich, daß er 6048 Gedichte verfaßt habe, „eh' mehr denn
minder". Darunter sind viele geistliche Lieder. Aber auch die weltliche Dichtung
pflegte er eifrig. Davon geben seine Erzählungen und Schwänke, seine Legenden
und Fabeln, vor allem aber seine „Fastnachtsspiele" Kunde. Letztere sind drama¬
tische Szenen, in denen er Lebensweisheit in das Gewand harmloser Scherze kleidet.
1. Die Wittenbergisch Nachtigall,
die man jetzt höret überall.
Auswahl.
Wach auf! es nahend gen dem Tag;
ich hör' singen im grünen Hag
ein' wunnigliche Nachtigall;
ihr' Stimm' durchklinget Berg und Tal.
Die Nacht neigt sich gen Okzident,
der Tag geht auf von Orient;
die rotbrünstige Morgenröt'
her durch die trüben Wolken geht,
daraus die lichte Sonn' tut blicken;
des Mondes Schein tut sich verdrücken,
der ist jetzt worden bleich und finster,
der vor mit seinem falschen Glinster
die ganzen Herd' Schaf hat geblend't,
daß sie sich haben abgewend't
von ihrem Hirten und der Weid'
und haben sie verlassen beid',
sind gangen nach des Mondes Schein
in die Wildnis den Holzweg ein,
haben gehört des Löwen Stimm'
und sind auch nachgefolget ihm,
der sie geführt hat mit Liste
ganz weit abwegs tief in die Wüste,
da haben's ihr' süß' Weid' verlor'n
hant gessen Ankraut, Distel und Dorn;
auch legt ihn'n der Löw' Strick' verborgen,
darein die Schaf fielen mit Sorgen.-
Nun singt die Nachtigall so klar,
und sehr viel' Schaf an dieser Schar
kehren wieder aus dieser Wild'
zu ihrer Weid' und Hirten mild.-
Nun daß ihr klarer mögt verstan,
wer die lieblich' Nachtigall sei,
die uns den hellen Tag ausschrei':
ist Doktor Martinus Luther,
zu Wittenberg Augustiner,
der uns aufwecket von der Nacht
darein der Mondschein uns hat bracht.