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Ludwig Uhland.
1787- 1862.
Uhland wurde als Sohn eines Universitätssekretärs in der Stadt Tübingen
geboren. Er wuchs auf „in guter Eltern Pflege", blieb im Umgang mit
andern scheu und schweigsam, in seinen Bewegungen eckig und hölzern,- doch war
er sonst ein frischer Junge, ein rüstiger Schwimmer und Springer und in der Schule
fast immer der Erste seiner Klasse. - Mit vierzehn Jahren bezog er die Universität
seiner Vaterstadt, um auf Wunsch seiner Eltern, aber gegen seines Herzens Neigung,
Rechtswissenschaft zu studieren. Um ihni den Entschluß zu erleichtern, versprach ihm
der Vater, daß er nach Beendigung des Studiums eine weite Reise machen
dürfe. Gewissenhaft' besuchte er die juristischen Vorlesungen; aber die Gesetzes-
paragraphen füllten seine Seele nicht aus. Er fühlte sich mächtig hingezogen zu den
Gestalten der deutschen und nordischen Helden der Vorzeit, deren Bilder ihm die
alten Lieder und Sagen vor Augen stellten. Und als um diese Zeit die Volkslieder¬
sammlung „Des Knaben Wunderhorn" erschien, ward ihm ein neuer Quell der
Freude erschlossen. Er vertiefte sich nun auch in Herders „Stimmen der Völker"
und studierte eifrig Französisch, Englisch, Spanisch und die nordischen Sprachen, um
die Lieder im Urtext lesen zu können.
Die Beschäftigung mit der Poesie führte ihm gleichgesinnte Genossen zu, so
den Mediziner Iustinus Kerner, der sein vertrautester Freund ward. Sie beurteilten
gegenseitig ihre Dichtungen, besprachen literarische Fragen und gründeten ein eigenes
Blatt, ein geschriebenes „Sonntagsblatt", das sie mit ihren Gedichten und andern
literarischen Erzeugnissen füllten. Von denr achtzehnjährigen Uhland standen darin
u. a. „Die Kapelle", „Das Schloß am Meere", „Schäfers Sonntagslied",- mit
19 Jahren dichtete er „Des Knaben Berglied".
Nach Beendigung seiner Studien durfte er die versprochene Reise antreten.
Sie führte ihn nach Paris, wo er die Gesetzgebung Napoleons studierte, die damals,
zur Zeit des Rheinbundes, für Württemberg wichtig war. Mit weit größerem
Interesse aber vertiefte er sich in die mittelalterlichen Manuskripte, die er in der
großen Bibliothek vorfand. Viele dieser Handschriften, die damals noch ungedruckt
waren, schrieb er, trotz der strengen Kälte in den ungeheizten Räumen, nüt großer
Sorgfalt ab; um die Arbeit nicht unterbrechen zu müssen, wenn er die Rechte über
dem Kohlenbecken wärmte, lernte er auch mit der linken Hand schreiben. Nach
seiner Heimkehr versuchte er es eine Zeitlang als Advokat in seiner Vaterstadt,
trat aber bald in den Dienst der Regierung. Am Freiheitskriege konnte er nicht
teilnehmen, weil sein Landesherr als Mitglied des Rheinbundes es keinem seiner
Untertanen gestattet haben würde, wider Napoleon das Schwert zu ziehen. Er
konnte seiner deutschen Gesinnung nur im Liede Ausdruck geben („An das Vaterland").
Da seine Arbeit im Ministerium ihn nicht befriedigte, so gab er sie wieder
auf und ließ sich in Stuttgart als Advokat nieder. Seine freie Zeit benutzte er
zu dichterischen Arbeiten und zur Erforschung der mittelalterlichen Literaturschätze