326
Wilhelm Müller.
1794- 1827.
VjTTilfyelm Müller war eines Schuhmachers Sohn und stammt aus der kleinen
Residenzstadt Dessau. Der Vater, der anfangs in beschränkten Verhältnissen
lebte, wurde durch eine zweite Heirat vermögend und konnte seinen Sohn auf die
Universität schicken. Aus seinen Studien wurde er herausgerissen durch den Krieg
gegen Napoleon, an dem er als freiwilliger Jäger teilnahm. Nach dem Frieden
kehrte er zu dem Studium der deutschen Sprache und Dichtung zurück. Freudig
folgte er der Aufforderung eines vornehmen Mannes, sein Reisebegleiter nach
Ägypten und Griechenland zu werden. Doch trennten sich die beiden bereits in
Italien, wo Müller zurückblieb. Eifrig studierte er die Kunstschätze des Altertums.
— Nach seiner Rückkehr wurde er in Dessau Gymnasiallehrer. Gleichzeitig ver¬
heiratete er sich und fand in der Stille des häuslichen Lebens sein Glück. Sein Sohn,
Max Müller, ward später ein berühmter Sprachgelehrter an der Universität Oxford.
Wilhelm Müller ist vor allem Liederdichter. Er liebte es, sich in Geist und
Lebensverhältnisse anderer Menschen — Müller, Jäger, Hirten usw. - hinein¬
zuversetzen und aus ihrem Gedankenkreise heraus zu singen. Andere Dichtungen
führen uns in die Vergangenheit; seine Griechenlieder sind der Teilnahme für das
Volk der Hellenen entsprungen, das sich 1821 gegen seine Bedrücker erhoben hatte. —
Unter den deutschen Dichtern standen ihm besonders die Schwaben Uhland, Schwab
und Kerner nahe, die er auf einer Reise mit seiner jungen Frau auch persönlich
kennen lernte. Uhland dichtete für Müllers Stammbuch das Lied vom „künftigen
Frühling". Wenige Wochen später stand der junge Dichter bereits „am Ziele seiner
Bahn",- unmittelbar nach der Heimkehr starb er infolge eines Schlaganfalls.
1. Frühlingseinzug.
Die Fenster auf, die Herzen auf!
Geschwinde, geschwinde!
Der alte Winter lvill heraus,
er trippelt ängstlich durch das Haus,
er windet bang sich in der Brust
und kramt zusammen seinen Wust.
Geschwinde, geschwinde!
Die Fenster auf, die Herzen auf!
Geschwinde, geschwinde!
Er spürt den Frühling vor dem Tor,
der will ihn zupfen bei dem Ohr,
ihn zausen an dem weißen Bart
nach solcher wilden Buben Art.
Geschwinde, geschwinde!
Die Fenster auf, die Herzen auf!
Geschwinde, geschwinde!
Der Frühling pocht und klopft ja schon —
horcht, horcht, es ist sein lieber Ton!
Er pocht und klopfet, was er kann,
mit kleinen Blumenknospen an.
Geschwinde, geschwinde!
Die Fenster auf, die Herzen auf!
Geschwinde, geschwinde!
Und wenn ihr noch nicht öffnen wollt,
er hat viel Dienerschaft im Sold,
die ruft er sich zur Hilfe her
und pocht und klopfet immer mehr.
Geschwinde, geschwinde!