VI. Das Menschenleben.
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zu den vornehmsten Stücken ihrer Leinenaussteuer, zu dem Damast¬
gedeck, zu den Bezügen der Gastbetten, das Garn selbst gesponnen hatte.
Daß jedes Stück dieser Aussteuer, die auf lebenslängliches Vorhalten
berechnet war, dereinst von der Braut und ihren Schwestern eigenhändig
genäht und gezeichnet war, galt der tüchtigen Bürgersfrau als eine Ehren¬
sache. Es wäre auch schwer anders zu machen gewesen. Fertiges
Leinen konnte man wohl kaufen, aber nicht fertige Wäsche oder gar
die gesamte fertige Aussteuer.
Wie in diesem Punkt, so hielt man überhaupt in den Zeiten, von
denen wir reden, den Grundsatz hoch: „Was man selbst machen kann,
das muß man nicht kaufen.“ Man aß nicht bloß selbstgebackenes Brot,
man kleidete sich am liebsten in selbstgesponnene und selbstgenähte
Stoffe. Praktische Hausfrauen feierten einen Triumph Uber den anderen,
wenn es ihnen gelungen war, die Arbeit dieses und jenes Handwerkers
überflüssig zu machen. Diese färbte ihre alten Kleider neu auf; jene
bereitete Kartoffelstärke. Eine dritte sammelte monatelang alle Fett¬
abfälle und kochte Seife. Eine vierte zertrennte nach Bedarf ihre Betten,
reinigte selbst die Federn und stopfte sie wieder ein. Als man der
Mühe überdrüssig zu werden anfing, die Fußböden von weißem Holz zu
scheuern, nahm manche selber den Pinsel zur Hand und strich mit der
eigenhändig aus Pigment und Ol bereiteten Farbe die Dielen.
Vollends das ganze Gebiet der Kleidung setzte die Hände der
Frauen unablässig in Bewegung. Mit Ausnahme des Hausherrn und der
erwachsenen Söhne, die mit der Beschaffung ihrer Anzüge notgedrungen
dem Schneider in die Hände fielen, trugen sämtliche Familienglieder
kaum je irgend ein Stück, das nicht im Hause angefertigt worden
wäre, sei es von den weiblichen Hausgenossen allein, oder mit Hilfe
von geschulten Arbeiterinnen, die auf Tagelohn kamen. Noch mußte
jeder Stich mit der Hand genäht werden, wie auch jeder Strumpf im
Hause gestrickt wurde. Begreiflicherweise führten sowohl die Vorliebe
für das Selbstangefertigte, wie die gebotene Rücksicht auf Sparsamkeit
dazu, alle diese Gegenstände so dauerhaft wie möglich herzustellen und
durch Ausbessern, Wenden und Andern solange wie möglich zu erhalten.
Auf Reinlichkeit hielt eine gute deutsche Hausfrau damals nicht
weniger als jetzt. Beim großen Reinmachen im Frühjahr und Herbst
blieb kein handgroßes Fleckchen im ganzen Hause von Besen und
Scheuerbürste unberührt; daneben wurde die tägliche und wöchentliche
Reinigung der im Gebrauch befindlichen Räume nicht vernachlässigt.
Freilich war bei der soviel einfacheren, schmuckloseren Einrichtung
die Arbeit auch einfacher. Es gab in bürgerlichen Häusern noch keine