Full text: [Teil 5 = Kl. 3, 2 u. 1, [Schülerbd.]] (Teil 5 = Kl. 3, 2 u. 1, [Schülerbd.])

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Deutschland ist umgeben von drei Großstaaten: Rußland, Österreich- 
Ungarn, Frankreich, von drei kleineren Königreichen: Holland, Belgien 
und Dänemark, und von der Schweiz und Luxemburg. In Freud und 
Leid hat es die Folgen davon zu empfinden gehabt, daß es so das 
nachbarreichste Land Europas ist. Wenn sich die Nachbarn befehdeten, 
fochten sie ihre Streitigkeiten am bequemsten auf dem Boden aus, der sie 
trennte; vertrugen sie sich dann wieder, so lag es nahe, daß sie einander 
Zugeständnisse auf Kosten dieses Bodens machten, den sie fast schon wie 
ein gemeinsames „Niemandsland" ansahen. Im weiten Umkreis Europas 
gibt es kein Volk, von den Spaniern bis zu den Mongolen und von den 
Finnen bis zu den Mauren, das sich nicht auf deutschem Boden geschlagen 
hätte. Und wie zahlreich sind allein seit dem Westfälischen die Friedens¬ 
schlüsse, aus denen unser Boden verkleinert hervorging. Das Wort 
Völkerschlacht ist bezeichnenderweise ein eigentümlich deutsches; leider gilt 
es nicht bloß von dem viertägigen Ringen bei Leipzig. Denn wie viele 
Schlachten sind seit den Hunnen- und Ungarneinfällen auf deutschem 
Boden mit und von nichtdeutschen Völkern geschlagen worden! 
Alle Staaten, die Deutschland umgeben, müssen auf Deutschland 
wirken, und Deutschland muß mit Gegenwirkungen antworten. Das ist 
das Leben, die Größe und die Gefahr eines zentralen Landes. Für 
Deutschland liegt in seiner mittleren, nachbarreichen Lage ebensowohl 
Schwäche als Kraft. Deutschland besteht nur, wenn es stark ist; ein 
schwacher Staat würde dem allseitigen Druck erliegen. Und Deutschland 
kann die Vorteile der zentralen Lage nur nützen, wenn es stark ist. Für 
einen Staat in Deutschlands Lage gibt es nur die Möglichkeit, sich 
zusammenzuraffen und durch unablässige Arbeit seine Stelle in der Welt 
zu behaupten, oder zerdrückt zu werden wie Polen, oder sich unter den 
Schutz der Neutralität zu stellen wie die Schweiz. Bismarck erwies sich 
als ein trefflicher politischer Geograph, als er 1888 im Reichstage sagte: 
„Gott hat uns in die Lage versetzt, in der wir durch unsere Nachbarn 
daran verhindert werden, irgendwie in Versumpfung oder Trägheit zu 
geraten. Die französisch-russische Pression, zwischen die wir genommen 
werden, zwingt uns zum Zusammenhalten und wird unsere Kohäsion auch 
durch Zusammendrücken erheblich steigern, so daß wir in dieselbe Lage 
der Unzerreißbarkeit kommen, die fast allen andern Nationen eigentümlich 
ist, und die uns bis jetzt noch fehlt." 
Lesebuch für Mädchen-Mittelschulen. V. Brandenburg. 31
	        
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