Full text: [Teil 5 = Kl. 3, 2 u. 1, [Schülerbd.]] (Teil 5 = Kl. 3, 2 u. 1, [Schülerbd.])

Hilfe anderer aufzusetzen und zu pudern, so wurde schon dadurch ein 
Gegensatz zwischen Häuslichkeit und Gesellschaft hervorgebracht, der den 
Verkehr des Tages in bestimmte Stunden bannte, ihn förmlich und weit¬ 
läufig machte. Zu Hause wurde ein Schlafrock getragen, in welchem der 
Gelehrte Besuch annahm, die „gute" Kleidung aber sorgfältig geschont. 
Viele Bedürfnisse freilich, welche uns sehr geläufig sind, waren ganz 
unbekannt. Manche Bequemlichkeit wurde lange entbehrt. Im Jahre 1745 
bittet ein österreichischer Unteroffizier einen gefangenen Offizier, dem er 
die Uhr abgenommen hat, diese Uhr auch aufzuziehen; er hat noch keine 
in Händen gehabt. 
Eigene Kutschen und Pferde hielten außer dem begüterten Adel, der 
sich nach der Stadt gezogen, nur die höchsten Staatsbeamten und in den 
großen Handelsstätten die reichsten Kaufleute. Aber auch den Gelehrten 
wurde damals oft durch die Ärzte geraten, sich den Gefahren eines Reit¬ 
pferdes nicht zu entziehen; bedeckte Reitbahnen und Mietspferde wurden 
häufiger als jetzt von den Professoren in Anspruch genommen. Freilich 
gelang es nicht jedem so wie dem kranken Gellert, dein als zweites 
Geschenk nach dem Tode seines berühmten Schecken ein kurfürstliches 
Pferd mit Samtsattel und goldbesetzter Schabracke in den Hof geführt 
wurde, das der liebe Herr in seiner Weise gerührt, aber mit dem größten 
Mißtrauen gegen die Sanftmut des Rosses annahm und allen seinen 
Bekannten anzuzeigen nicht müde wurde, während sein Stallknecht das 
Wundertier den Leipzigern um Geld vorwies. — Da die Kleidung so 
empfindlich gegen Nässe machte, war ein fast geschwundenes Transport¬ 
inittel sehr in Aufnahme gekommen: die Portechaisen. Sie wurden so 
häufig gebraucht wie jetzt die Droschken; die Träger, durch eine Art 
Livree kenntlich, hatten ihre bestimmten Stationen und fanden sich ein, 
wo das Publikum zahlreich erschien: bei großen Tänzen, am Sonntag 
vor den Kirchtüren, am Theater. 
Streng war die Zucht des Hauses. Am Morgen war in den 
Familien kurze Hausandacht mit den Kindern und gewöhnlich mit den 
Dienfileuten: Gesang eines Verses, eine Ermahnung oder Gebet, zuletzt 
wieder ein Liedervers. Früh wurde aufgestanden, bei guter Zeit wieder 
das Lager gesucht. Auch der Umgang im Hanse war förmlich; von 
Kindern und Dienstboten wurde äußere Ehrerbietung in devoten Formen 
gefordert, die Gatten der Vornehmen redeten einander in der Regel 
mit Sie an. 
Was sich einer Familie anschloß, gute Freunde, entferntere Bekannte, 
das erhielt in dem einfachen, oft ärmlichen Leben große Wichtigkeit. Durch 
die Hausfreunde wurde Beförderung, Fürsprache und Begünstigung gesucht 
und erwartet. Beschützen und Parteinehmen war eine Pflicht. Deshalb 
galten vornehme und einflußreiche Bekanntschaften fiir ein ausgezeichnetes 
Glück, um das man zu werben hatte; jede Aufmerksamkeit, Gratulation 
Lesebuch für Mädchen-Mittelschulen. V. 38
	        
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