Full text: [Teil 5 = Kl. 3, 2 u. 1, [Schülerbd.]] (Teil 5 = Kl. 3, 2 u. 1, [Schülerbd.])

viele Kilometer langen, 20, 30 und mehr Meter hohen grünlich schimmern¬ 
den Wänden brachen diese Eisströme im Meere ab, und die Brandung 
löste unablässig Schollen von ihnen los, die aufschäumend ins Meer 
stürzten, um als schwimmende Eisinseln fortgetrieben zu werden. 
Hier und dort öffnen sich tiefe Fjorde in das Innere des Landes. 
Läuft das Schiff in diese ein, so umgibt uns die weite, eisstrahlende 
Herrlichkeit in einem silberschimmernden Rund, und betreten wir die Küste 
dieses herrenlosen Landes und wandern ein wenig landein, so ergreift 
uns der seltsame Zauber einer weltabgeschiedenen Einsamkeit mit einer 
Macht, wie wir sie in unserem eigenen Erdteil nicht kennen lernen können. 
Kein Laut umgibt uns, als vielleicht das ferne Rauschen eines Gletscher¬ 
baches oder das Pfeifen einer Möwe, die ihr Nest zwischen dem moosigen 
Geröll hat. Wir fühlen es, daß der Mensch hier nicht hergehört, daß 
sein Reich hier zu Ende ist. 
Und doch finden wir heute in Spitzbergen menschliche Wohnungen, 
wenn es auch keine dauernden sind. In einer Bucht des Eisfjords, des 
größten unb schönsten aller spitzbergischen Fjorde, ist seit mehreren Jahren 
von einer Dampfergesellschaft eines jener transportablen norwegischen 
Häuser erbaut worden, das als eine Art Hotel während des Juli und 
August dem Touristenbesuch offen steht. Je einmal in der Woche trifft 
der Dampfer von Hammerfest ein und bringt Lebensmittel und neue 
Passagiere herüber. 
Nicht immer ist das Wetter so klar, wie ich es jenen ersten Tag 
sah; Nebel und Schneestürme fallen auch im Sommer häufig genug ein. 
Ist der Reisende aber begünstigt, dann mag er es wagen, auf den 
Wellen der letzten Ausläufer des Golfstromes noch nordwärts von Spitz¬ 
bergen vorzudringen. In günstigen Jahren wird er bis 80, ja 81 Grad 
gelangen können, so daß Spitzbergen hinter ihm am südlichen Horizont 
verschwindet. Dann aber bietet ihm das Eis ein endgültiges Halt. Erst 
in einzelnen Brocken, dann in größeren und größereil Feldern, endlich in 
der ununterbrochenen Masse des Packeisrandes sieht er die schimmernde 
Eiswelt des höchsten Nordens vor sich. Über diese hinaus dringt der 
Tourist ilicht mehr vor, und auch der todesmutige Forscher hat bisher 
doch nur eine verhältnismäßig kleine Strecke hinein vorstoßen können. 
Hier ist die eigentliche Grenze der dem Menschen als Tummelplatz 
angewiesenen Erdoberfläche. Wem es aber vergönnt war, an dieser 
Schwelle des Unbekannten zu weilen; wer rings um sich auf schwarz¬ 
blauem Wasser in der Mitternachtsonne die tausend und tausend phantastisch 
geformten Eisschollen schwimmen sah wie Heere weiß leuchtender Schwäne; 
wessen Einbildungskraft tastend und ahnend hinüberflog über die so hart 
vor uns liegenden Schranken zu den noch ungelösten Geheimnissen des 
höchsten Nordens: der nimmt einen Eindruck mit heimwärts, den seine 
Seele nie wieder vergessen kann.
	        
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