125 Als sprüch's: „Ein Schwert nur, und die Welt ist mein!"
Und plötzlich floß dann — wie, verstand er kaum —
Ein andres Bild in seinen Heimatstraum;
Vor seine Seele drängt' es sich mit Macht,
Wie er dereinst in heißen Morgenlanden
130 Als Wacht an eines Mannes Kreuz gestanden,
Bei dessen Tod die Sonn' erlosch in Nacht.
Wohl lag dazwischen manch durchstürmter Tag,
Doch konnt' er nie des Dulders Blick vergessen,
Darin ein Leidensabgrund nnermessen,
135 Und dennoch alles Segens Fülle lag —
Und nun — wie kam's nur? — über seinen Eichen
Sah er dies Kreuz erhöht als Siegeszeichen;
Und seines Volks Geschlechter sah er ziehn,
Unzählig, stromgleich; über den Gefilden
140 Von Waffen wogt' es, und auf ihren Schilden
Stand jener Mann, und Glorie strahlt' um ihn.
Da fuhr er auf. Aus des Palastes Hallen
Kam dumpf Geräusch; der Herr der Welt war tot.
Er aber schaute kühn ins Morgenrot
145 Und sah's wie einer Zukunft Vorhang wallen.
Karl von Gerok.
1815—1890.
1. Das Kind des Steuermanns.
Auf einsamen Gängen. 28. bis 30. Tausend. Stuttgart 1901. — Palmblätter
Stuttgart u. Leipzig 1874. — Deutsche Ostern. 2. Ausl. Stuttgart u. Leipzig 1871
1. „Die Segel eingezogen,
Und alle Mann auf Deck!"
Der Sturm kommt angeflogen
Aus finsterem Versteck,
Die Wogen wälzen rollend
Sich schon heran mit Macht,
Der Donner regt sich grollend,
Und Mittag wird zur Nacht.
2. Doch hinten steht im Schiffe
Der Steuermann am Rad
Und lenkt mit Blick und Griffe
Des schwanken Kieles Pfad,
Weiß klug vorbeizuhalten
Am mörderischen Riff,
Die Wellen kühn zu spalten;
Denn ihm gehorcht sein Schiss.
3. O braver Seemann, zwinge
Des Elementes Wut!
O wackres Schifflein, dringe
Voran durch Sturm und Flut!
Viel bange Herzen zagen,
Und mit des Sturms Geräusch
Mischt sich der Kinder Klagen,
Der Frauen Angstgekreisch.