362
Wir wohnten nun zu Dumsevitz fünf oder sechs Jahre, ich meine
bis zum Jahre 1780. Wir waren ein Viergespann von Buben, und es
kam hier bald noch eine Dirne und ein Knabe hinzu. Was nun das
Äußere betrifft, so waren wir freilich aus dem Palast in die Hütte
versetzt. Dumsevitz war ein häßlicher, zufällig entstandener Hof mit einem
dienen, aber doch kleinlichen Hause, indessen doch hübsche Wiesen und
Seen umher, nebst zwei sehr reichen Obstgärten, und in den Feldern
Hügel, Büsche, Teiche, Hünengräber, alles in dem unordentlichen, aber
wildschönen Zustand eines noch sehr unvollkommenen und ursprünglichen
Ackerbaues. Die Natur war gottlob noch nicht reinlich gemacht und ihre
ungestörte Wildheit mit Vögeln, Fischen, Wild und Herden desto lustiger;
auch streiften wir, dem fröhlichen Jäger, dem Vater und seinen Hunden
folgend, oft darüber hin. Das hatten wir alles zu genießen, behielten
aber Schoritz, wo uns ganz nahe befreundete Leute wohnten, eigentlich
immer noch als unsere Heimat, weil die Nachbarn und Nachbarskinder
immer wöchentlich, oft auch täglich zusammenliefen. Dies geschah am
meisten im Walde Krewe, wovon ein Teil zu Dumsevitz gehörte, und
worin wir bei der Vogelfängerei und Vogelstellerei meistens frcunbltcf),
zuweilen auch feindlich zusammenstießen. Wir hatten überhaupt ein
glückliches Leben. Es waren die zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre nach
dem Siebenjährigen Kriege eine stille, heitere Zeit, und die Menschen
fühlten sich außerordentlich wohlig unb wählig und ließen bei Besuchen,
Zusammenkünften und Festlichkeiten und bei Reisen zu entfernten Ver-
wandten die Kinder an allem freundlich mit teilnehmen. Das Beste aber
war, daß wir mit keinem frühen Lernen gequält wurden und auch diese
Dumsevitzer Jahre spielend durchleben durften. Das hatte seinen guten
Grund.
Es hatte nicht feinen Grund in der Ansicht oder in dem Willen der
Eltern, sondern in den engen und kleinen Umständen derselben. Es gab
keine Schule in der Nähe, und ein rechter, studierter Hauslehrer wäre
ihnen zu teuer geworden. Indessen liefen wir doch nicht wie die rohen
Wildlinge herum, sondern wurden, wie ich noch meine, für dieses Alter
vom sechsten bis zehnten Jahre recht gut erzogen.
Mein älterer Bruder Karl — ich war der zweite — ward auf ein
paar Jahre nach Stralsund geschickt, wo er im Hause des ältesten Mutter-
bruders wohnte und in die Schule ging. Ich weiß noch, welch Erstaunen
und Schrecken wir hatten, und wie sich die Geschichte bald in briiderlichen
Spaß auflöste, als der Junge nach einem halben Jahre einmal nach
Hanse kam und anfangs nicht anders als in hochdeutscher Zunge sich mit
uns zu unterreden herabließ. Denn das Hochdeutsche waren wir bisher
nicht anders als von den Kanzeln oder beim Vorlesen ans Büchern oder
bei feierlichen Gelegenheiten in den ersten Bewillkommnungen der Besuchenden
zu hören gewohnt gewesen. Wir blieben aber dabei nicht hinter ihm,